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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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an die Kargheit und geometrische Strenge japanischer Zimmer gewöhnt war, wirkte der Raum unordentlich und überladen. Auf einem hohen Schreibpult häuften sich Papiere; er sah Gänsekiele mit tuschegeschwärzten Spitzen, die als Schreibgeräte dienten. Um eine aufgeklappte eiserne Kiste herum standen Stapel von Hauptbüchern. Sano nahm einen der dicken, ledergebundenen Bände, schlug ihn auf und schaute auf die seltsamen fremdländischen Schriftzeichen. Er betrachtete ein Musikinstrument, das an einer Wand lehnte; aus dem hölzernen Klangkörper ragte ein langer, mit Saiten bespannter Hals. Daneben stand ein hoher Holzstuhl, dessen Rückseite an eine Art Leiter erinnerte. Sano betrachtete die seltsamen Gegenstände auf dem Fensterbrett und die Geräte, die an der Wand über dem Schreibpult hingen – und erkannte, dass er mit seinem dürftigen Wissen über die holländische Kultur kaum darauf hoffen konnte, aus den Habseligkeiten Jan Spaens Rückschlüsse auf den Charakter dieses Mannes, auf seine Motive und Absichten ziehen zu können.
    »Was sind das für Dinge?«, wandte Sano sich an Dolmetscher Iishino. Kommandant Ohira war an eines der offenen Fenster getreten und schaute hinunter in den Garten.
    »Das hier ist die Laute von Direktor Spaen«, sagte Iishino und tippte mit dem Finger auf das Musikinstrument. »Er hat sehr gut darauf gespielt, und er hat auch gesungen und getanzt. Als er nach Edo gereist ist, um dem Shogun seine Aufwartung zu machen, war seine Hoheit sehr beeindruckt von Direktor Spaens Talent, sehr beeindruckt.«
    Iishino eilte zum Fensterbrett, nahm verschiedene Gegenstände und hielt sie in die Höhe: zwei lange, gekrümmte spitze Zähne; ein konisches, ledriges Objekt und eine Spielkarte von einem Stapel – auf der einen Seite war das farbige Bild einer Barbarenfrau zu sehen, auf der anderen Seite seltsame Symbole.
    »Das sind holländische Spielkarten«, sagte Iishino. »Direktor Spaen hat sehr gern gespielt. – Und dies sind die Fangzähne eines Tigers aus Indien, und hier ist das Horn eines Rhinozeros aus Afrika. Direktor Spaen war ein sehr guter Jäger.« Auf dem spitzen Gesicht des Dolmetschers mischten sich plötzlich Trauer und Bewunderung. Er wies auf die Wand hinter dem Schreibpult. »Und dort seht Ihr Karten, die aller Herren Länder zeigen – die ganze Welt! Die wichtigsten Handelsstraßen zu Wasser und zu Lande sind darauf eingezeichnet. Und die Nadeln in den Karten zeigen, wo Direktor Spaen schon überall gewesen ist.« Iishinos Finger berührte eine Nadel nach der anderen: »Japan, China, Taiwan, Korea, Indien, Indonesien, Afrika und ganz Europa.«
    Die Karten waren regelrechte Kunstwerke, in farbiger Tusche ausgeführt; die Länder und Städte waren in der fremden Schrift der Barbaren gekennzeichnet. Sano, der nie zuvor eine Karte der ganzen Welt gesehen hatte, bemerkte voller Erstaunen, wie winzig Japan aussah. Wie unbedeutend musste den Barbaren das Kaiserreich der Tokugawa erscheinen!
    »Das ist Piet Hein«, sagte Iishino und wies auf ein Schwarz-Weiß-Bild, das einen schnurrbärtigen Barbaren zeigte. »Er hat die spanische Silberflotte erobert. Direktor Spaen hat ihn sehr bewundert, sehr bewundert. Er sagte, dass erst Piet Hein ihn darauf gebracht habe, in die Ostindische Kompanie einzutreten und seine eigenen Schlachten um Reichtum und Wohlstand zu schlagen. – Und hier sehr ihr das Bild eines Teehauses in Leyden, der Heimatstadt von Direktor Spaen.«
    Das golden gerahmte kleine Bild zeigte eine Gruppe lachender männlicher Barbaren, die riesige Mahlzeiten verschlangen, miteinander anstießen, Karten spielten, musizierten oder pralle weibliche Barbaren mit riesigen Brüsten an sich drückten und streichelten, während sich Hunde, Katzen und Federvieh auf dem Fußboden tummelten. Im Vergleich zu den zarten, pastellenen japanischen Drucken war es ein vulgäres, derbes und viel zu buntes Bild, aber die Darstellung war erstaunlich lebensecht. Man hätte glauben können, durch ein Fenster zu schauen.
    »Fehlt irgendetwas aus diesem Zimmer?«, fragte Sano.
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Was steht in diesen Papieren?« Sano, der seine Ermittlungen lieber eigenständig vornahm, war seine Unwissenheit zuwider; denn so musste er sich auf die Kenntnisse des unsympathischen Iishino stützen.
    Der Dolmetscher fuhr mit dem Finger den Rand der Papiere entlang, die auf dem Tisch lagen. »Das sind Direktor Spaens Abrechnungen über den Gewinn aus dem letzten Verkauf der holländischen

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