Die Spur des Verraeters
Waren. Er musste die Zahlen zusammenstellen, bevor er Japan mit dem Schiff verlassen wollte, das gerade erst eingetroffen ist. Ein anderer Kaufmann wird seinen Platz in Deshima einnehmen, zusammen mit neuen Mitarbeitern. Kein Holländer darf sich länger als zwei Jahre auf Deshima aufhalten, zwei Jahre. Anderenfalls könnte er allzu freundschaftliche Beziehungen zu den japanischen Bürgern entwickeln.«
»Das letzte Mal wurden vor einem Jahr holländische Waren verkauft, nachdem ein Schiff den Hafen angelaufen hatte, nicht wahr?« Als Iishino nickte, fragte Sano weiter: »Weshalb hat Direktor Spaen dann so lange gewartet, um die Abrechnungen zu machen?«
Iishino schien diese Frage aus irgendeinem Grund zu beunruhigen. Er senkte den Blick und wich vor Sano zurück. Stattdessen meldete Kommandant Ohira sich vom Fenster aus zu Wort. »Die Barbaren sind nicht so gewissenhaft wie wir Japaner, sôsakan-sama . Ich kann Euch versichern, dass Direktor Spaens verspätete Buchführung kein ungewöhnliches Verhalten für einen von diesen Faulpelzen gewesen ist. Außerdem dürfte die Verspätung ohnehin keinen Einfluss auf Direktor Spaens Ermordung gehabt haben.« In Ohiras Stimme lag Spott. »Habt Ihr jetzt genug gesehen?«
Sano hätte ihn darauf hinweisen können, dass es ganz und gar kein Zeichen von Faulheit war, wenn man die ganze Welt besegelte und durch den Handel in aller Herren Länder ein Vermögen scheffelte. Es verwunderte ihn, wie Iishino und Ohira auf seine harmlose Frage reagiert hatten. Doch immer noch blieb die Frage offen, wie Jan Spaen, dieser Kaufmann, Musikant, Spieler, Krieger und Jäger, von der Insel Deshima entkommen war, wo er gewesen war und wer ihn ermordet hatte. In den Zimmern Spaens gab es keine Waffen, kein Blut, kein Anzeichen für einen Kampf und keinen Hinweis darauf, dass er in seiner Unterkunft oder an irgendeinem anderen Ort auf Deshima ermordet worden war, den Sano bisher besichtigt hatte.
»Ich werde jetzt die Barbaren aufsuchen«, sagte Sano zu Ohira. Er konnte es nicht länger aufschieben.
7.
D
olmetscher Iishino und Kommandant Ohira gingen mit Sano im milden Sonnenlicht und der angenehmen Wärme des Spätnachmittags die Hauptstraße Deshimas hinunter.
»Wie heißen die beiden Barbaren, die zur Zeit auf der Insel sind?«, fragte Sano.
»Maarten deGraeff, Vizedirektor der Faktorei auf Deshima«, sagte Kommandant Ohira, »und der Schiffsarzt Dr. Nicolaes Huygens.«
Huygens – Dr. Itos Freund und Informant über die in Japan verbotenen fremdländischen Wissenschaften! Itos Brief an Huygens, den Sano unter seiner Schärpe trug, schien plötzlich größer und schwerer zu werden. Um seine Erregung zu verbergen, fragte Sano rasch: »In welchem Verhältnis standen diese beiden Barbaren zu Direktor Spaen? Gab es Spannungen? Feindseligkeiten?«
Kommandant Ohira machte ein finsteres Gesicht. »Das Gesetz untersagt es mir, zu enge Bekanntschaften mit den Barbaren zu schließen. Deshalb kann ich Euch nicht sagen, wie das persönliche Verhältnis dieser Männer gewesen ist. Aber ich kann Euch versichern, dass sie sich in meinem Beisein stets zivilisiert benommen haben. Verstöße gegen die Vorschriften dulde ich nicht.«
»Die Barbaren versuchen dafür zu sorgen, dass wir Dolmetscher wichtige Gespräche nicht mithören können«, sagte Iishino. »Aber das gelingt ihnen nicht immer.« Er tat so, als würde er mit dem Ohr an einer Tür lauschen. »Einmal habe ich gehört, wie Jan Spaen und Vizedirektor deGraeff sich über einen ›privaten Handel‹ gestritten haben. Ich weiß nicht, was damit gemeint war, weil sie mich gesehen und ihr Gespräch unterbrochen haben.«
»Und Dr. Huygens?«, fragte Sano.
»Er nimmt mit den anderen Barbaren zusammen die Mahlzeiten ein und behandelt sie, wenn sie krank sind, hält sich ansonsten aber für sich allein.«
»Hier wohnt Vizedirektor deGraeff«, sagte Ohira.
Sano folgte dem Kommandanten auf den Balkon eines Hauses unweit der Wachstation im Westteil der Insel. Er war froh über Iishinos Mitteilung, dass zwischen Spaen und seinem Stellvertreter, wenigstens einem der anderen Barbaren, offenbar nicht das beste Einvernehmen geherrscht hatte. Sanos Stimmung hob sich – wäre da nicht der Gedanke an das holländische Segelschiff vor der Küste gewesen. Wie würden die Barbaren auf die Nachricht von Direktor Spaens Ermordung reagieren?
Die Wachen ließen Sano, Ohira und Iishino passieren. Die drei Männer betraten eine Schreibstube, die räumlich
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