Die Spur des Verraeters
genauso aufgeteilt war wie die von Direktor Spaen, nur war dieses Zimmer kahler und ordentlicher. Auf dem Schreibpult, säuberlich aufgestapelt, lagen Hauptbücher. Der einzige persönliche Gegenstand war ein kleines gerahmtes Bild, das mit der bemalten Seite nach unten auf dem Pult lag. Zwei weitere Posten sowie ein Diener bewachten deGraeff, der in kerzengerader Haltung am Schreibpult saß und mit einem angespitzten Gänsekiel schrieb. Er trug eine braune Jacke, schwarze, knielange Hosen, Schuhe, Strümpfe und ein weißes Hemd mit weit offenem Kragen. Sein Barbarengestank lag schwer in der heißen, stickigen Luft.
»Der ehrenwerte Ermittler des Shogun will Euch sprechen!«, fuhr Kommandant Ohira den Holländer grob an.
Dolmetscher Iishino übersetzte. Die Wachen zerrten den Barbaren vom Stuhl, stießen ihn zu Boden und riefen: »Verbeug dich!«
Demütig warf der Holländer sich zu Boden. Erschreckt über den Tonfall, den die japanische Besatzung auf Deshima anschlug, sagte Sano: »Bitte, erhebt Euch, und nehmt wieder Platz.« DeGraeff war ein Vertreter jener mächtigen Nation, deren Segelschiff vor der Küste auf die Erlaubnis zum Anlegen wartete, und Sano sah keinen Sinn darin, diesen Mann derart grob zu behandeln. Als der Barbar wieder Platz genommen hatte, musterte Sano ihn vorsichtig.
DeGraeff war hager und hoch gewachsen und hatte dünnes graues Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Der gleichfalls graue Stoppelbart auf seinen Wangen ließ sein langes, schmales Gesicht mit der spitzen Nase, dem schmallippigen Mund und dem Kinn mit dem tiefen Grübchen noch hagerer erscheinen. Seine Stirn war zerfurcht, seine grauen Augen blickten wach.
Sano stellte sich mit Namen vor; dann sagte er: »Es tut mir Leid, aber ich habe schlechte Neuigkeiten für Euch. Direktor Jan Spaen ist tot.«
Während Iishino übersetzte, schaute der Barbar ihn an. Sano hasste diese umständliche Methode der Verständigung. Beunruhigt fragte er sich, ob der übereifrige Dolmetscher seine Worte – und die des Barbaren – richtig wiedergab.
DeGraeff ergriff Iishinos Hände und neigte den Kopf darüber. Es dauerte längere Zeit, bis er schließlich etwas erwiderte.
»Er dankt Euch für diese Mitteilung«, sagte Iishino zu Sano. »Und er wird unverzüglich die Aufgaben und Pflichten von Direktor Spaen übernehmen, damit die Handelsgeschäfte ohne Unterbrechung weitergehen.«
Plötzlich erkannte Sano auch einen Vorteil darin, diese fremde Sprache nicht zu beherrschen: Wenn er sich nicht auf die Worte konzentrieren musste, konnte er seine ungeteilte Aufmerksamkeit darauf richten, deGraeffs Miene zu beobachten und auf den Klang seiner Stimme zu achten. Bevor deGraeff die Augen zum Gebet senkte, hatte Sano einen seltsamen Ausdruck darin gesehen. War es Erschrecken? Hochgefühl? Jedenfalls fand Sano es bemerkenswert, dass deGraeff nicht die nahe liegendste Frage gestellt hatte: Wie ist Spaen gestorben?
»Direktor Spaen wurde ermordet«, ließ Sano deGraeff wissen. »Sein Mörder muss gefasst und bestraft werden. Deshalb muss ich Euch ein paar Fragen stellen.«
DeGraeff lauschte der Übersetzung, nickte und erwiderte irgendetwas. »Er wird uneingeschränkt mit uns zusammenarbeiten«, erklärte Iishino. Wieder wandte er sich an den Barbaren und sagte etwas auf Holländisch; dann wandte er sich an Sano. »Ich habe ihn gerade gesagt, dass er uns jetzt und hier alles erzählen soll, was er weiß. Falls er sich weigert, wird er verprügelt.« Lächelnd wartete er auf Sanos Einverständnis.
Doch statt zu erlauben, dass Iishino das Gespräch mit dem Barbaren an sich riss, wandte Sano sich an deGraeff. »Mir wurde gesagt, Ihr hättet den ganzen Tag noch nichts gegessen. Ich bitte um Entschuldigung, dass es dazu gekommen ist. Ich lasse Euch sofort etwas bringen.« An Iishino gewandt, verlangte Sano: »Übersetzt, was ich gesagt habe. Und von nun an werde ich die Fragen stellen.«
Erstaunen spiegelte sich auf Iishinos Gesicht. »Aber, sôsakan-sama … «
»Tut, was ich sage!«, verlangte Sano, der sich über die ständigen Unterbrechungen und Einmischungen durch Iishino ärgerte. Würde er selbst doch Holländisch beherrschen! Könnte er doch ohne den nervtötenden Iishino auskommen! Während der Dolmetscher übersetzte, sagte Sano zu dem Diener: »Hol das Essen, und mach schnell.«
Der Diener eilte aus dem Zimmer. Kommandant Ohira und die Wachsoldaten bedachten Sano mit missbilligenden Blicken. »Ihr seid sehr freundlich zu dem Barbaren«,
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