Die Spur des Verraeters
ab. Während er den Mann beobachtete, sagte ihm seine Intuition, dass dieser Holländer mehr über den Tod Direktor Spaens wusste, als er zugegeben hatte.
Von Kommandant Ohira und Dolmetscher Iishino begleitet, stieg Sano die Treppe hinunter und ging über die Straße in Richtung des Hauses, in dem Dr. Nicolaes Huygens wohnte, der Schiffsarzt, Dr. Itos guter Freund und Sanos letzter holländischer Verdächtiger, auf dem nun all seine Hoffnungen ruhten, die ins Stocken geratenen Ermittlungen vielleicht doch noch zu einem schnellen und erfolgreichen Ende bringen zu können.
8.
D
ie Tür zu Dr. Huygens’ Haus stand weit offen und war unbewacht, als Sano in Begleitung Ohiras und Iishinos dort eintraf.
»Bitte, glaubt mir, dass eine solche Nachlässigkeit der Wachen noch nie vorgekommen ist«, sagte Kommandant Ohira wütend, als er Sano und Iishino durch die Tür führte. »Ich werde die Verantwortlichen bestrafen, sôsakan , verlasst Euch darauf!«
Im Arbeitszimmer des Arztes erblickte Sano hölzerne Regale, in denen Schachteln und Kisten standen, und ledergebundene Bücher und Kästen, in denen Muscheln, Steine, Schmetterlinge und andere Insekten aufbewahrt wurden; in durchsichtigen Glasgefäßen, die kleine Schilder mit fremdländischen Schriftzeichen trugen, trieben abscheuliche Dinge in einer klaren Flüssigkeit, darunter ein neugeborenes Kätzchen mit zwei Köpfen. Auf dem Fußboden standen flache, mit Wasser gefüllte Gefäße, in denen sich lebende Krabben, Schnecken und Seeigel befanden. Auf den Fensterbrettern standen Topfpflanzen, die von einem jugendlichen Samurai gegossen wurden. Links und rechts neben Dr. Huygens’ Schreibpult unter dem Fenster standen die beiden Wachsoldaten; die Arme aufgestützt, beobachteten sie den Holländer interessiert.
Dr. Huygens saß mit dem Rücken zur Tür; sein Kopf und Oberkörper waren über irgendetwas gebeugt, das sich inmitten eines wirren Durcheinanders aus Büchern, Papieren und kleinen Tonschüsseln befand.
»Und was schauen wir uns jetzt an?«, fragte einer der Wachsoldaten.
Der jugendliche Dolmetscher sagte irgendetwas auf Holländisch zu Dr. Huygens; dann übersetzte er den Wachen die Antwort, während er sich wieder seinen Pflanzen zuwandte. »Einen Tropfen Wasser aus dem Teich.«
Ohira stapfte von der Tür zu den Wachen, die ihn jetzt erst bemerkten und ihn voller Entsetzen anstarrten. »Was ist das? Verbrüderung mit einem Barbaren!«, rief Ohira wütend. »Schändlich! Zurück auf eure Posten! Sofort! Wir sprechen uns später!«
Die Wachen flüchteten aus dem Arbeitszimmer.
»Ich mache jetzt weiter. Du kannst gehen«, sagte Iishino zu dem jungen Samurai, einem Dolmetscher niederen Ranges, der sich eilig entfernte.
Der Arzt drehte sich um und erhob sich. Er war ein massiger Mann von heruntergekommenem Äußerem, der ganz und gar nicht dem japanischen Ideal des eleganten und kultivierten Gelehrten entsprach. Seine Haut war rosig, und seine runde Nase und die Wangen leuchteten kirschrot. Huygens musste über vierzig Jahre alt sein, denn sein kupferrotes, gewelltes Haar, das sich an Stirn und Schläfen bereits lichtete, war von grauen Strähnen durchzogen. Er trug zwei durchsichtige runde Gläser vor den Augen, die mittels eines dünnen Golddrahts, der über den Nasenrücken führte, miteinander verbunden waren: die berühmten Brillen der Barbaren, die auf wundersame Weise die Sehschärfe verbesserten. Die klugen hellbraunen Augen des Holländers betrachteten Sano durch die Gläser hindurch mit einem Ausdruck wacher Neugier. Huygens hatte derbe, plumpe Hände, die ungeeignet schienen, medizinische Eingriffe vorzunehmen, bei denen Fingerspitzengefühl vonnöten war. In der rechten Hand hielt er einen kleinen Gegenstand aus Metall, bei dessen Anblick sämtliche Alarmglocken in Sanos Innerem anschlugen.
»Vorsicht!«, rief er. »Der Mann hat eine Waffe!«
Dr. Huygens wich erschreckt bis zum Schreibpult zurück. Auf seinem großen, rosigen Gesicht spiegelte sich Entsetzen, und die Augen hinter den Brillengläsern blickten voller Angst.
»Wachen!«, rief Ohira.
Die beiden Männer kamen ins Arbeitszimmer gestürmt. Dr. Huygens fiel auf die Knie und sprudelte irgendetwas auf Holländisch hervor.
»Es sagt, es ist keine Waffe«, erklärte Iishino. »Es ist eine wissenschaftliche Apparatur. Er bittet um die Erlaubnis, sie Euch vorführen zu dürfen.«
»Er sagt die Wahrheit«, meldete sich einer der Wachsoldaten zu Wort. Mit einem nervösen Blick
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