Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
Gerüchte zu Ohren kommen.«
    »Was für ein geschäftlicher Rückschlag?«
    »Ach, wisst Ihr«, der Kaufmann machte eine wegwerfende Handbewegung, »ich habe von geliehenem Geld eine größere Menge Kupfer gekauft, weil ich mir guten Gewinn davon versprach. Dann aber setzte der bakufu den Preis für Kupfer herunter statt herauf. Aber ich habe den Verlust durch andere Geschäfte wettgemacht. So geht’s im Geschäftsleben nun einmal zu. Man gewinnt, man verliert …«
    »Die Holländer kaufen große Mengen Kupfer von Japan, nicht wahr?«, fragte Sano. Als Urabe nickte, fuhr er fort: »Also habt Ihr den Holländern das Kupfer, das Ihr zu einem hohen Preis erworben habt, mit Verlust verkauft. Hat Jan Spaen Euch zu diesem Geschäft überredet? Hat er Euch mit dem Kupfer hereingelegt?«
    Urabe machte ein finsteres Gesicht. »Mich legt niemand herein«, stieß er mit rauer Stimme hervor. »Ein Barbar schon gar nicht. Der bakufu setzt die Preise für Kupfer fest. Direktor Spaen hatte mit meinem Verlustgeschäft nichts zu tun.«
    Sano spürte, dass er beobachtet wurde, und drehte sich um. Eine Frau stand in der Einmündung einer Seitengasse, die Sonne im Rücken, sodass sie nur als dunkle Gestalt zu sehen war. Sano schlug das Herz bis zum Hals, als er die Frisur der Frau und die Umrisse ihres ovalen Gesichts zu erkennen glaubte. Aoi !
    Doch als die Gestalt näher kam, schwand das Trugbild. Sano sah ein Mädchen von etwa vierzehn Jahren vor sich. Sie trug einen rosa Kimono, und ihr langes Haar war an den Seiten zurückgesteckt. Doch mit der Form des Gesichts erschöpften sich auch schon ihre Ähnlichkeiten mit Aoi. Die Nase des Mädchens war klein und schön geformt, und ihre Lippen waren wie zarte, rosige Blütenblätter. Doch ihr mangelte es völlig an Aois Ausstrahlung heiterer Gelassenheit und Selbstsicherheit. Verlegen kam das Mädchen näher, die ineinander verschränkten Hände an ihren kleinen Busen gedrückt. In ihren Augen lag ein Ausdruck kindlicher Unschuld. Hinter dem Mädchen standen eine Frau mit mürrischem Gesicht – vermutlich die Anstandsdame – und zwei Diener.
    »Vater …«, begann das Mädchen.
    Unwirsch winkte Urabe sie fort. »Jetzt nicht. Ich habe zu tun.«
    »Verzeih, Vater.« Ihr Stimme war schüchtern und lieblich. Errötend verbeugte sie sich; dann zog sie sich rasch zurück.
    »Entschuldigt die Unterbrechung«, sagte Urabe. »Das ist meine jüngste Tochter Junko – die einzige, für die ich noch einen Mann finden muss.« Mit düsterer Miene schüttelte er den Kopf. »Vier Töchter und keinen Sohn! Die Götter haben mich schwer gestraft. Sie hätten mir wenigstens einen reichen Schwiegersohn schicken können, der sich als Geschäftspartner geeignet hätte. Aber was habe ich bis jetzt an Schwiegersöhnen bekommen? Der erste ist ein Trinker, der zweite ein Verschwender, der dritte ein Dummkopf. Junko ist meine letzte Hoffnung, dass meine Familie zusätzliches Geld und einen Schwiegersohn mit der Begabung für den Kaufmannsberuf bekommt. Junko muss einen wohlhabenden, geschäftstüchtigen jungen Mann heiraten. Dann gebe ich ihr mein gesamtes Vermögen als Mitgift.«
    Sano beobachtete, wie das Mädchen über den Markt schlenderte, und verspürte wieder den altbekannten Schmerz, den die Erinnerungen an Aoi in seinem Inneren erweckte. Warum suchte er auch bei jeder Frau, der er begegnete, nach Ähnlichkeiten mit seiner einstigen Geliebten? Sano holte tief Atem und zwang sich, seine Gedanken wieder auf die Ermittlungen zu richten.
    »Ihr habt den Holländern nicht nur Kupfer verkauft, sondern auch andere Handelsgüter, nicht wahr?«, fragte er Urabe. »Habt Ihr Eure Geschäfte mit Jan Spaen auf freundschaftlicher Grundlage abgewickelt?«
    »Natürlich«, erwiderte Urabe fest, doch seine Finger betasteten unruhig das Muttermal auf seiner Wange und straften diese Antwort Lügen. Die holländischen Händler waren harte Verhandlungspartner. Hatte Spaen Urabe übervorteilt?
    »Wenn Ihr vorgestern Abend nicht auf Deshima gewesen seid, wie Ihr sagt«, erkundigte sich Sano, »wo wart Ihr dann?«
    Urabe reckte das Kinn vor und starrte Sano trotzig an. »Ich habe bis tief in die Nacht in meinem Geschäft gearbeitet. Dann bin ich nach Hause gegangen und habe geschlafen. Meine Schreiber und meine Frau können diese Aussage bestätigen. Ich hätte Spaen selbst dann nicht ermorden können, wenn ich es gewollt hätte – was nicht der Fall ist. Die Holländer sind wichtige Lieferanten und Kunden, auch wenn sie

Weitere Kostenlose Bücher