Die Spur des Verraeters
Trauer und des Mitleids in seinen Augen sah.
»Was ist?«, fragte sie leise.
Kiyoshi nahm Junko in die Arme und drückte sie an sich, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. »Du musst die Lichterscheinungen vergessen, Junko«, sagte er. »Besonders jetzt, da der sôsakan-sama davon weiß.«
Junko löste sich von Kiyoshi und blickte ihn verwirrt an. »Aber warum? Die Wahrsagerin hat doch prophezeit, die Lichter seien der Schlüssel zu unserem Glück.«
Bei ihrem letzten heimlichen Treffen hatten die beiden jungen Leute die bekannteste Wahrsagerin Nagasakis aufgesucht. Das alte Weib hatte ihnen erklärt: »Die seltsamen Lichter im Hafen enthalten den Schlüssel zu eurem Glück. Es sind die Geister holländischer Barbaren. Fangt einen von ihnen, und er wird euch ein Vermögen in Gold zahlen, dass ihr ihn wieder freilasst.«
»Ist es genug Gold, um dafür zu sorgen, dass unsere Familien in unsere Heirat einwilligen?«, hatten sie die alte Frau gefragt.
»Genug Gold, um alles möglich zu machen.«
Junko versuchte, Kiyoshi an den Ratschlag der Wahrsagerin zu erinnern. »Die geheimnisvollen Lichter …«
»Du musst sie vergessen, habe ich gesagt!«, rief Kiyoshi, und heißer Zorn loderte in seinen Augen.
Nie zuvor hatte er Junko gegenüber die Stimme erhoben. Schweigend wandte das Mädchen sich von ihm ab und blinzelte die Tränen fort.
»Tut mir Leid«, entschuldigte sich Kiyoshi. Der Zorn war aus seiner Stimme verschwunden; er hörte sich nur noch müde an. »Ich wollte dir nicht wehtun. Aber denk nicht mehr an die Lichter. Es ist das Beste, glaub mir.«
Der kalte Luftzug, der durchs Fenster in die Kammer an der Spitze des Turmes wehte, ließ Junko schaudern. Sie zog die Nase hoch. »Aber was ist mit dem Geld?«, fragte sie. »Mit unseren Plänen?«
Kiyoshi legte Junko eine Hand auf die Schulter. Mit einem gezwungenen Lachen sagte er: »Diese alte Wahrsagerin hat nur Gerüchte wiederholt, die sie in der Stadt aufgeschnappt hat. Sie hat bloß gesagt, was wir hören wollten . Es gibt keine Geister und keinen Schatz. Wir wären Dummköpfe, würden wir an so etwas glauben.«
Erschreckt über den verzweifelten Beiklang in Kiyoshis Stimme, warf Junko ihm einen raschen Blick über die Schulter zu und sah, dass er sie besorgt musterte. Doch ein Teil von ihm blieb Junko eigenartig fremd und verschlossen.
»Wenn die Lichter nicht die Geister holländischer Barbaren sind – was sind sie dann?«, fragte das Mädchen und klammerte sich an seinen Traum von Reichtum und Glück.
Kiyoshi nahm die Hand fort, die auf Junkos Schulter ein flüchtiges Gefühl der Wärme hinterließ. »Das kann ich dir nicht sagen.«
Seine Widerspenstigkeit ließ Junkos ohnehin zerbrechliche Würde in tausend Splitter zerspringen. Sie fuhr zu ihm herum und schaute ihm in die Augen. »Bitte, sag mir, was los ist!«, flehte sie ihn an und ergriff den Ärmel seiner Jacke. »Ich möchte helfen!«
Wieder zog Kiyoshi sie an sich und streichelte ihr übers Haar. Junko spürte seine kräftige Hand, fühlte seinen warmen Atem auf der Stirn. Doch sein Körper blieb seltsam starr. »Du kannst nichts tun«, sagte er betrübt. »Ich muss allein damit fertig werden. Ich …« Erst nach einer langen Pause sprach er weiter, doch es hörte sich an, als würde er eher zu sich selbst sprechen als zu Junko. »Ich selbst muss entscheiden, was richtig und was falsch ist, auch wenn es … jemandem wehtut.«
Er ließ Junko los und schluckte schwer. »Ich sage es nicht gern, Junko, aber … ich halte es für besser, wenn wir uns nicht mehr sehen.«
»Wir sollen uns nicht mehr sehen?« Junko konnte ihre Verzweiflung nicht verbergen und brach in Tränen aus. »Liebst du mich denn nicht mehr?«, fragte sie schluchzend. »Gibt es eine andere?«
»Nein, nein, das ist es nicht!« Kiyoshi ergriff Junkos Hände und drückte sie an seine Brust. »Ich liebe dich. Niemals wird es eine andere Frau für mich geben. Aber es ist das Beste für dich, wenn wir uns trennen. Bitte, glaub mir.«
»Nein!«
Ein Geräusch ließ beide erstarren: Schritte erklangen auf der Treppe.
»Das ist der Leutnant«, raunte Kiyoshi. Er schob Junko zum Fenster, von dem aus eine Leiter bis zum Fuß des Turmes führte. »Geh rasch, bevor er dich sieht!«
»Bitte, Kiyoshi«, flehte Junko. »So können wir doch nicht auseinander gehen. Es gibt noch so viel zwischen uns zu sagen …«
Die Schritte wurden lauter, kamen näher. So sehnlich Junko sich auch wünschte, noch bei Kiyoshi bleiben zu
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