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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Messer gefunden?«, fragte er, sah aber bereits voller Enttäuschung, dass die Taucher mit leeren Händen erschienen waren.
    »Nein«, sagte der Anführer der Tauchergruppe. »Und inzwischen ist es zu dunkel, als dass man noch etwas sehen könnte.«
    »Setzt die Suche morgen früh fort«, befahl Sano.
    Er hatte beschlossen, an diesem Abend Kommandant Ohira und die Wachen noch einmal zu vernehmen, doch bevor er vom Pferd steigen und das Wachhaus betreten konnte, erregte ein seltsames Schauspiel seine Aufmerksamkeit. Er ritt zur Uferstraße, um besser beobachten zu können.
    Im Hafen erstrahlte eine chinesische Dschunke im Licht Hunderter Laternen, die von den Masten hingen; rotgoldene Segel flatterten wie Flammen. An Deck spielten Musikanten eine misstönende Melodie auf Flöten, Trommeln und scheppernden Becken. Seeleute tanzten, dass ihre Zöpfe flogen; ihr Gesang schallte über das Wasser. Eine lange Reihe Betender mit roten Laternen sowie Priester in orangefarbenen Umhängen bewegte sich einen Hügelhang hinunter. Die Priester trugen zwei Tragen auf den Schultern. Auf der ersten befand sich die große goldene Statue eines fetten, lächelnden Gottes, umgeben von Blumen und Weihrauchschwenkern, die ihren süßen, schweren Duft verströmten. Auf der anderen Trage saß ein kleiner alter Mann mit kahlrasiertem Kopf. Er trug ein buntes Schultertuch aus Brokat über seinen Priestergewändern. Andere Priester hielten Gegenstände in den Händen, die aus Goldpapier gefertigt waren: Häuser, Boote, Möbel, Tiere, Geldbündel. Den Priestern und Gläubigen folgte eine lärmende Menge chinesischer Seeleute. Japanische Wachsoldaten, mit Bambusstöcken bewaffnet, begleiteten die Gruppe eine Anlegestelle hinunter bis zu der Dschunke.
    Sano stieg vom Pferd und gesellte sich zu der Menge, die sich versammelt hatte und die Prozession beobachtete. »Was geht da vor sich?«, fragte Sano einen Wachsoldaten.
    »Das ist eine Feier. Die chinesische Dschunke wurde heute das erste Mal zu Wasser gelassen. Die Statue ist der Meeresgott der Chinesen. Sie beten zu ihm, dass die Fahrten der Dschunke allzeit sicher sein mögen.«
    »Und der Priester auf der Trage?«, fragte Sano, obwohl er die Antwort bereits ahnte.
    »Liu Yun, der Abt des chinesischen Tempels.«
    Sano, der einen besseren Blick auf diesen Verdächtigen werfen wollte, reichte dem Soldaten die Zügel und erteilte ihm den Befehl, sich um das Pferd zu kümmern. Dann arbeitete er sich durch die Menge der Chinesen, bis er zur Anlegestelle gelangte, wo die Priester soeben Abt Liu Yun von der Trage halfen. Sie reichten dem alten Mann eine flackernde Fackel, worauf der Abt ein kunstvolles, aus Goldpapier gefertigtes kleines Herrenhaus entzündete, wobei er mit tiefer, dröhnender Stimme ein Lied sang. Rauch stieg zum Himmel; Aschefetzen schwebten über das Wasser. Von der Trage herab schien der goldene Meeresgott mit einem gütigen Lächeln zu verfolgen, wie das symbolische Opfer zum Himmel gesandt wurde. Die Seeleute an Bord der Dschunke winkten und riefen, die Musik spielte lauter und schneller, und die Priester machten sich unter dem Jubel der Zuschauer daran, sämtliche Opfergaben zu verbrennen. Sano trat zu einem der Wachsoldaten.
    »Ich möchte mit einem der Chinesen reden. Ist hier jemand, der für mich dolmetschen kann?«, fragte er und bedauerte, dass er zwar die chinesische Schrift, nicht aber die chinesische Sprache gelernt hatte. »Ich muss mit Abt Liu Yun sprechen.«
    »Ein Dolmetscher ist nicht erforderlich«, meldete sich eine Stimme zu Wort, die von einem seltsamen Akzent gefärbt war.
    Sano drehte sich um und sah sich Abt Liu Yun gegenüber. Die runzelige Haut des kleinen alten Mannes besaß die Zerbrechlichkeit uralter Seide und die gelbe Farbe von altem Elfenbein. Sein Hals war dünn und faltig, und sein Kopf wirkte zu groß für seinen schmächtigen Körper, doch seine Gesichtszüge waren fest und fein geschnitten; sein Kinn war spitz, und seine Ohren sahen wie winzige Muscheln aus. Er verbeugte sich anmutig.
    »Ihr sprecht sehr gut Japanisch, ehrenwerter Abt«, sagte Sano beeindruckt. Liu Yun war die Verkörperung des kultivierten und gelehrten Chinesen – Eigenschaften, die Sano bei den Kaufleuten aus China vermisst hatte. Der Abt besaß eine Aura der Vornehmheit, des Reichtums und der Bildung, und es erfüllte Sano mit Ehrfurcht, zum ersten Mal einem gelehrten Mann aus dem altehrwürdigen Reich der Mitte zu begegnen. Er war neugierig, mehr über Liu Yun zu

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