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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Schwärze wurde nur hier und da von dem schwachen Licht einer Station der Hafenpatrouille oder einem der Wachhäuser auf Deshima durchbrochen. Als Sano den Blick über diese Szenerie schweifen ließ, machte er eine Entdeckung, bei der sein Herz unvermittelt schneller schlug.
    Weit draußen auf See, in Richtung des Hügellandes östlich der Stadt, blitzte ein grünes Licht fünf Mal in rascher Folge auf. Dann nahm ein purpurnes Licht die Stelle des grünen ein, wiederum gefolgt von einem rhythmischen Aufblitzen grellweißen Lichts. Sano beobachtete, wie der Farbwechsel sich ständig wiederholte, wobei die Leuchterscheinung sich in Richtung der Insel Deshima bewegte.
    Sano wendete sein Pferd und galoppierte hügelab. Sein Treffen mit Statthalter Nagai musste warten. Endlich hatte Sano die Gelegenheit, mehr über die rätselhaften Lichter im Hafen von Nagasaki zu erfahren und herauszufinden, was sie waren und welche Bedeutung sie im Zusammenhang mit der Ermordung Jan Spaens hatten – falls es einen Zusammenhang gab.
    Die gewundenen Gassen führten Sano auf Umwegen zum Hafen. Immer wieder schaute er aufs Meer hinaus und sah die Lichter etwa auf halber Strecke zwischen dem Festland und Deshima aufblitzen. Sano kam an leeren Wärterhäuschen vorüber; offenbar hatten die Wachen vor Angst die Flucht ergriffen. Auch die Fußgänger waren verschwunden. Der Abend selbst schien den Atem anzuhalten und zu warten, bis die Gefahr vorüber war. Schließlich gelangte Sano zum Strand. Auch hier war niemand zu sehen. Wo war die Hafenpatrouille? Versteckten die Beamten sich aus Angst vor den Lichterscheinungen, diesen angeblichen Geistern? Plötzliche Furcht stieg in Sano auf. Waren es wirklich die Geister von Toten? Als Veteran der erfolglosen Gespensterjagden des Shogun hatte er zwar gute Gründe, die Existenz übersinnlicher Wesen zu leugnen; nun aber trug sein tief verwurzelter Aberglaube beinahe den Sieg davon.
    Um seine Ängste zu zerstreuen, dachte Sano angestrengt über eine Erklärung für die Leuchterscheinungen nach. Falls die Lichter von Menschenhand gebaute Apparate waren, die dazu dienen sollten, den Leuten Furcht einzujagen, sodass sie die Flucht ergriffen und den Hafen praktisch unbewacht ließen, hatten diese Leuchtapparaturen unbestreitbar Erfolg. Und selbst wenn die Lichter ein natürliches Phänomen waren, wie Abt Liu Yun es angedeutet hatte, änderte es nichts daran, dass die Lichter dazu benutzt werden konnten, jedes Verbrechen zu verschleiern – einschließlich Mord.
    Sano ritt die Uferpromenade hinunter zu einer Wachstation der Hafenpatrouille, die still und dunkel vor ihm lag. »Hallo! Ist da jemand?«, rief er.
    Keine Antwort. Sano verwarf den Gedanken, die Hafenpatrouille oder die Polizei zu verständigen und sie zu bitten, ihm bei der Jagd nach der Lichterscheinung zu helfen. Stattdessen klatschte er dem Pferd die Zügel an den Hals und preschte die Promenade hinunter. Mehrere hundert Schritt voraus standen zwei Posten an dem Wachhaus vor der Brücke nach Deshima. Die Blicke zur Mitte der Insel gerichtet, hatten die Soldaten die Lichter offenbar gar nicht bemerkt. Sano schaute über die freie Feuerschneise und hinüber zum Hafen zu seiner Rechten. Die Lichter blitzten jetzt heller und näherten sich dabei immer mehr dem Schleusentor Deshimas. Sano trieb sein Pferd zu einem schärferen Galopp.
    Plötzlich erklang zu seiner Linken, aus Richtung der Uferpromenade, ein scharfer, zischender Laut. Irgendetwas sirrte an Sanos Gesicht vorbei und prallte in einiger Entfernung klappernd auf den Boden. Sano duckte sich über die Mähne seines Pferdes. Das Tier scheute und blieb so abrupt stehen, dass es beinahe gestürzt wäre. Mit wild klopfendem Herzen schaute Sano sich vorsichtig um. Er hatte das Geräusch auf Anhieb erkannt; mehr als einmal war auf diese Weise ein Anschlag auf sein Leben verübt worden. Ohne den Pfeil zu sehen, wusste Sano, dass jemand mit dem Bogen auf ihn geschossen hatte.
    In der Richtung, aus welcher der Pfeil gekommen war, standen Wohnhäuser und Läden dicht an dicht. Inmitten des Häusermeeres und der hoch aufragenden Feuerwachtürme sah Sano plötzlich einen Schatten, der sich bewegte und verschwand. Sano schaute aufs Meer hinaus. Die Lichterscheinung, von der schwarzer Rauch aufstieg, bewegte sich nun auf das Schleusentor Deshimas zu. Erregung verdrängte Sanos Erschrecken. Statt Deckung zu suchen, ritt er in Richtung der kleinen Insel.
    Ein zweiter Pfeil schwirrte dicht über seinen

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