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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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geheimnisvollen Lichter tatsächlich mit Spaens Ermordung zu tun hatten, musste er, Sano, immer noch eine Erklärung finden, was diese Lichterscheinungen eigentlich waren . Außerdem hatte ein weiterer Tatverdächtiger – nämlich Abt Liu Yun – soeben ein Alibi für die Mordnacht vorweisen können.
    Ein Schatten der Ungeduld huschte über das gelassene Gesicht des Abts. »Es gibt viele seltsame Erscheinungen auf dieser Welt«, sagte er. »Auf meinen Reisen habe ich kleine blaue Blitze gesehen, die an den Mastspitzen der Schiffe flackerten. Einmal sah ich einen Feuerball aus dem Himmel stürzen und ein Haus verbrennen. Und einen Wirbelwind habe ich gesehen, der eine ganze Stadt vernichtet hat. Und einmal sah ich, wie ein Ochsengespann vom Erdboden verschlungen wurde. Solche Phänomene, wie auch die Lichter im Hafen von Nagasaki, sind gewiss Geister, die stofflich werden und Gestalt annehmen. Und vielleicht gibt es Menschen, die diese Geister herbeirufen können. Ich selbst vermag es nicht, denn ich bin kein Zauberer.«
    Von Bord der Dschunke ließ die Besatzung zwei kleine Boote ins Wasser, die von Seeleuten zur Anlegestelle gerudert wurden. Dann stellten die Priester die goldene Statue des Meeresgottes vorsichtig in das vordere der beiden Boote, während der Seemann im hinteren Boot dem Abt zurief, er solle an Bord kommen.
    »Falls Ihr noch weitere Fragen habt, Ihr findet mich im Tempel«, sagte Liu Yun. »Nun aber muss ich den Meeresgott zum Schiff begleiten, auf dass er ihm seinen Segen erteilt.«
    Mit einem gütigen Lächeln verbeugte der Abt sich vor Sano; dann erlaubte er seinen Untergebenen, ihm an Bord des Ruderbootes zu helfen. Von den Rufen der Seeleute und den Gesängen der Priester begleitet, die auf der Anlegestelle standen, und vom bunten Licht explodierender Feuerwerkskörper beleuchtet, glitten die zwei Boote zur Dschunke hinüber.
    Sano glaubte Abt Liu Yun nicht, dass der Tod seines Bruders ihm so gleichgültig war, wie er vorgab. Die chinesische und die japanische Kultur hatten viele Gemeinsamkeiten – zum Beispiel, was die Treue zur Familie betraf; solche Traditionen konnten auch durch religiösen Fanatismus nicht völlig beseitigt werden. Und die gleiche Treue konnte einen Mitbruder im Kloster dazu bewogen haben, dem Abt ein falsches Alibi zu verschaffen. Liu Yun hatte Zugang zu Waffen; außerdem besaß er die Möglichkeit, über das Meer nach Deshima zu gelangen – und wieder von der Insel herunter. Die Chinesen – die Erfinder des Schießpulvers, der Feuerwerksraketen und anderer zauberischer Dinge – waren gewiss in der Lage, geheimnisvolle Lichter herzustellen. Noch etwas kam hinzu: Es würde einen möglichen Krieg verhindern und Sanos eigene Rettung bedeuten, wenn er dem Abt, einem Ausländer, den Mord an Spaen nachzuweisen vermochte. Natürlich konnte er Liu Yun nicht auf der Grundlage bloßer Gerüchte verhaften, oder weil der Abt ein stichhaltiges Motiv für den Mord an dem Holländer hatte. Aber vielleicht konnte Sano Zeugen ausfindig machen, die – wenn schon keine Beweise – so doch wenigstens Hinweise liefern konnten, dass Abt Liu Yun vorgestern Abend auf Deshima gewesen sein könnte.
    Der Lärm vor der Anlegestelle wurde lauter. Mit beharrlichem Klang ertönte ein Schiffshorn. Sano blickte auf und sah, dass der dumpfe, dröhnende Laut von einer Schaluppe kam, die vor dem Wachgebäude der Hafenpatrouille anlegte, das sich in der Nähe befand. Die Besatzung ging von Bord, und die panikerfüllten Stimmen der Seeleute wurden über das Wasser bis zur Anlegestelle getragen. In Sano stieg eine schreckliche Vorahnung auf. Er rannte die Anlegestelle hinunter. An der Uferpromenade angelangt, hielt er einen Soldaten fest, der durch die Menschenmenge zur Stadt eilte.
    »Was ist?«, fragte Sano mit drängender Stimme.
    »Ah, gut, dass Ihr es seid, sôsakan-sama !«, stieß der Mann keuchend hervor und fügte atemlos hinzu: »Es gibt Schwierigkeiten mit dem holländischen Segelschiff. Ich habe sehr schlechte Neuigkeiten für Euch!«

14.

    G
    estern haben wir dem holländischen Kapitän Eure Botschaft überbracht«, stieß der Soldat hervor. »Er hat getobt vor Zorn, dass es sich noch länger hinauszögert, bis sein Schiff anlegen darf. Und er meint, Ihr würdet ungerechte und einseitige Ermittlungen über den Mord an Direktor Spaen anstellen, sôsakan-sama . Wir Japaner, hat der Kapitän gesagt, würden seine Landsleute auf Deshima niedermetzeln. Außerdem wollten wir unschuldige

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