Die Spur des Verraeters
bist, brauchst du nur den rechten Arm zu heben, und du bist frei.«
Der Arm des Gefangenen bewegte sich nicht. »Maria, Mutter Gottes, erbarme dich meiner …«, flüsterte er.
Wenngleich auch Sano dazu erzogen war, die Christen zu verachten und die Macht des bakufu anzuerkennen, bewunderte er den Mut dieses Mannes. Sano verabscheute die Folter ebenso sehr wie die perverse Freude Dannoshins an dieser schrecklichen Quälerei. Gewiss, das Christentum wurde von den Barbaren als Waffe eingesetzt, um Treue und Ergebenheit von unterworfenen Völkern zu erzwingen und bei Feinden innere Streitigkeiten zu entfachen; es erschien Sano gut möglich, dass Japan längst eine Kolonie der spanischen Krone wäre, hätte man den christlichen Glauben nicht unterdrückt und seine fremdländischen Verkünder bekämpft. Deshalb hatte Sano einen Eid darauf geschworen, das Christentum aus Japan fern zu halten. Doch diese schreckliche Folterung eines Samurai, wie Sano selbst einer war, durfte er nicht erlauben. Sein ganzer Zorn auf den grausamen Herrschaftsapparat der Tokugawa stieg in ihm auf.
»Schneidet den Mann los!«, befahl er.
Dannoshin schnappte nach Luft. »Aber Tozô hat noch keine Namen genannt …«
»Das ist mir egal. Schneidet ihn los. Sofort!«
»Also gut. Wie Ihr wünscht.« Mit einem Achselzucken erteilte der oberste Glaubenswächter seinen Folterknechten den Befehl, den Gefangenen auf den Erdboden zu legen. Dann bedachte er Sano mit einem hasserfüllten Blick. »Jetzt ist die Arbeit von vier Tagen zunichte. Dabei sollte man annehmen, dass selbst ein unerfahrener und gutgläubiger Neuling weiß, dass man kein Mitleid mit diesem christlichen Abschaum zeigen darf … zumal man dabei rasch Gefahr läuft, sich der Beihilfe, wenn nicht gar der Verbrüderung schuldig zu machen.«
Sano ließ sich nicht dazu herab, auf Dannoshins Beschuldigungen und Drohungen einzugehen. Er konnte den Anblick des obersten Glaubenswächters und der hämisch grinsenden Wachen nicht mehr ertragen. »Lasst uns allein«, befahl er.
Als Sano mit dem Gefolterten allein war, kniete er sich neben den Mann und löste die Stricke, mit denen ihm die Strohmatte um den Leib geschnürt war. Tozôs Brust hob und senkte sich unter schwachen, kaum merklichen Atemzügen. Seine Lippen formten die Namen christlicher Heiliger.
»Tozô«, sagte Sano. »Könnt Ihr mich hören?«
Die geschwollenen Lider öffneten sich. Das Weiße in Tozôs Augen war von Blut gerötet. »Möge Gott … mir gnädig sein«, flüsterte er.
Sano nahm die freie Hand des Mannes. »Eure Qualen sind zu Ende«, sagte er. »Jetzt könnt Ihr in Frieden sterben.«
»Sterben … ja.« Tozô lächelte. »Ins … Paradies eintreten.« Mit einem glückseligen Ausdruck blickte er zum Himmel. »Denn Gott ist voll der Gnade …«
Ein raues, qualvolles Husten schüttelte seinen Körper. Blut lief ihm aus dem Mund, und er begann unkontrolliert zu zittern. Die Todesqualen schienen Tozô seines Mutes und seines christlichen Glaubens zu berauben; angesichts der schmerzlichen Realität des Todes schien das Bild des himmlischen Paradieses in Trümmer zu fallen. Für einen Moment wurde Tozôs Blick wieder klar; Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen.
»Nein! Ich will nicht sterben. Ich habe Angst!« Mit verzweifelter Kraft packten seine Finger Sanos Hand. »Bitte, rettet mich!«
Sano versuchte, den Sterbenden zu beruhigen; helfen konnte Tozô niemand mehr. Doch der stemmte sich gegen das Unabwendbare. »Bitte, ehrenwerter oberster Glaubenswächter«, flehte er Sano an, den er offenbar für Dannoshin hielt, »ich tue alles, was Ihr sagt.« Wieder hustete er und spuckte dabei Blut. »Ich sage … meinem christlichen Glauben ab. Statt dem Gott der Christen … schwöre ich dem Shogun … meine ewige Treue …« Ein heftiger Schauder durchlief seinen Körper.
»Ruhig, ganz ruhig«, sagte Sano mit drängender Stimme, denn er konnte es nicht ertragen, dass ein Mann seines Standes – ein Samurai – eine Niederlage eingestand. »Ruht Euch aus.«
»Ich sage Euch alles, was Ihr wissen wollt! Aber lasst mich nicht sterben! «
Sano war ratlos und hilflos. Er brauchte dringend Informationen über die Christen, die in Nagasaki im Untergrund lebten, doch durfte er diese grausame Tortur für seine Zwecke nutzen? Voller Scham und Widerwillen hielt er Tozô das Kreuz vor die Augen und fragte: »Woher kommt das? Wem gehört es?«
»… Barbaren … Deshima … geheimes Netzwerk. Christliche Schmuggelware … kommt
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