Die Spur des Verraeters
besonders rücksichtslos gewesen. Beim Großen Martyrium ungefähr siebzig Jahre zuvor waren die Kirchen zerstört und mehr als einhundertzwanzig Christen enthauptet oder bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Unter den nachfolgenden Herrschern hatte es weitere, mehr als fünfhundert Hinrichtungen gegeben. Und Sano war zu Ohren gekommen, dass die derzeitige Verwaltung Nagasakis die brutalen Verfolgungen gegen die wenigen verbliebenen japanischen Christen fortsetzte. Doch der erste Blick auf das Christengefängnis schien diese Informationen Lügen zu strafen.
Auf einem umzäunten Hof standen zehn schmucke, strohgedeckte Hütten. Hinter den Fenstern saßen Männer und Frauen. Friedlich nähten sie Kleidungsstücke oder sponnen Garn; Mütter stillten Säuglinge; Familien saßen beim Essen zusammen, und ein Arzt rieb einem Kranken Kräutersalbe auf die Brust.
»Hier seht Ihr den größten Teil der verbliebenen christlichen Gemeinde Nagasakis«, verkündete Dannoshin stolz und wies mit seiner blassen, fetten Hand auf die Hütten. »Sechzig Personen, Kinder mit eingerechnet, sind hier sicher unter Verschluss, sodass sie keinen Schaden anrichten können.«
In einem größeren Gebäude badeten die Bewohner in hölzernen Wannen oder schlenderten im Inneren umher, wobei sie von Posten bewacht wurden. Weitere Wachsoldaten patrouillierten über den Hof. Das gesamte Gelände hatte nichts mit den düsteren Kerkern und den schrecklichen Folterkammern des Gefängnisses gemein.
»Die Leute dürfen sogar die Sachen verkaufen, die sie nähen, und das Geld behalten«, sagte Dannoshin. »Männer und Frauen haben getrennte Unterkünfte, aber die Familien dürfen jederzeit zusammen sein. Im Gemeinschaftshaus können sie baden und umherlaufen, und wenn sie krank werden, kümmern wir uns um sie.«
Sano öffnete den Mund, um eine erstaunte Bemerkung über die menschliche Behandlung der Gefangenen zu machen und den obersten Glaubenswächter zu fragen, ob er mit den Leuten sprechen dürfe, doch Dannoshin kam ihm zuvor. »Vielleicht habt Ihr den Eindruck, wir gehen zu nachsichtig mit den Christen um«, sagte er, »aber das stimmt nicht. Eine brutale Behandlung würde nur bewirken, dass sie sich um so hartnäckiger an ihren Glauben klammern. So etwas schafft Märtyrer – und die könnten die Leute dazu verleiten, wieder zum Christentum überzutreten. Deshalb behandeln wir unsere Gefangenen so gut, dass sie brav sind.«
Er leckte sich die Lippen und zeigte ein anzügliches, beinahe lustvolles Lächeln. »Ich richte meine Aufmerksamkeit lieber auf Einzelpersonen, von denen ich mir wertvolle Auskünfte verspreche. Kommt, und seht selbst.«
Dannoshin führte Sano auf einen kleinen umzäunten Bereich. Von einem Flaschenzug, der an der Spitze eines Pfahles befestigt war, hing kopfüber ein Mann, dessen Körper straff mit einer von Schmutz starrenden Strohmatte umwickelt war; nur der rechte Arm schaute oben aus der Matte hervor und baumelte schlaff herunter. Ein Seil war um die Knöchel des Mannes geschlungen; Kopf und Schultern baumelten in einer Grube. Zwei Wächter standen neben dem Flaschenzug und warteten auf das Geständnis des Gefolterten. Fassungslos starrte Sano auf das entsetzliche Bild.
»Diese Foltermethode hat der Statthalter erfunden, der vor siebzig Jahren in Nagasaki regierte«, sagte Dannoshin. »Auf diese Weise hat er sogar einen Jesuitenpater dazu gebracht, seinem Glauben abzuschwören. Und er hat christliche Frauen gezwungen, nackt durch die Straßen zu kriechen, wobei sie vom Pöbel geschlagen und verspottet wurden. Anschließend ließ er diese Frauen Wannenbäder nehmen – in Wannen, in die er vorher Schlangen hineingeworfen hatte.« Speichel lief Dannoshins Mundwinkel hinunter. »Einige Frauen waren nur allzu gern bereit, ihrem Glauben zu entsagen, als die Schlangen in ihre Körper eindrangen.«
Dannoshin ergriff das Seil und zog Kopf und Schultern des Gefolterten aus der Grube. Das Gesicht des Mannes war purpurn und aufgedunsen, die Augen zugeschwollen. Blut lief ihm aus Mund, Nase und Ohren. Sein kahlrasierter Scheitel und der Haarknoten am Hinterkopf ließen erkennen, dass es sich um einen Samurai handelte. Der Mann flüsterte mit rissiger Stimme: »Herrgott, erbarme dich meiner …«
»Er hängt jetzt den vierten Tag hier«, sagte Dannoshin und starrte dem Gefangenen ins Gesicht. »Tozô! Bist du bereit, deinem Glauben abzuschwören und mir die Namen anderer Christen zu sagen, die du kennst? Wenn du dazu bereit
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