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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Wand, die Knie an den Leib gezogen, in einer Pfütze aus ihrem eigenen Blut. Fliegen umschwärmten summend die reglose Gestalt in der blutgetränkten Kleidung und hatten sich auf der grässlichen, tiefen Schnittwunde niedergelassen, die von der linken Seite des Halses quer über die Kehle führte. Nicht nur aus der Wunde, auch aus dem Mund war Pfingstrose das Blut geschossen, hatte ihr blauschwarzes Haar verklebt und war über die Tatami-Matte gespritzt. In ihren starren, blicklosen Augen lag ein Ausdruck des Entsetzens. Ihre linke Hand hielt den schmucklosen Holzgriff eines Messers umklammert, das aus der tödlichen Wunde ragte.
    Voller Mitleid schüttelte Sano den Kopf. »Wer hat sie gefunden, und wann?«, fragte er yoriki Ota, der hinter ihm im Türeingang stand.
    »Eines der Hausmädchen«, antwortete Ota. »Gegen Mittag.«
    Sano drehte sich um. »Bis dahin hat niemand sie vermisst?« Jetzt verstand er, weshalb Minami so ungeduldig darauf bedacht war, dass die Leiche fortgebracht wurde, bevor der Blutgeruch das ganze Haus verpestete.
    Ota zuckte die Achseln. »Minami meint, dass sie sich gestern Abend von der Feier davongeschlichen hat, hier hinauf gegangen ist und Selbstmord beging. Es gab Streitereien – einige Gäste schlugen sich und mussten aus dem Vergnügungsviertel verwiesen werden. Deshalb ist niemandem aufgefallen, dass Pfingstrose verschwunden war, auch ihren Zimmerpartnerinnen nicht, die unten mit den Gästen gefeiert haben. Und was die Hausmädchen betrifft – die konnten Pfingstrose nicht leiden, weil sie angeblich faul und hinterhältig war. Deshalb haben die Mädchen gar nicht erst nach Pfingstrose gesucht, als sie heute Morgen nicht erschienen ist. Erst dem Koch ist aufgefallen, dass Blut zwischen den Deckenbalken hindurchsickerte.« Er wies auf die Leiche. »Wir haben die Frau so liegen lassen, wie wir sie aufgefunden haben, weil wir uns dachten, dass Ihr Euch selbst ein Bild von der Ermordeten und dem Tatort machen wollt.«
    Otas Erklärung hörte sich vernünftig an; dennoch verspürte Sano nagende Zweifel. Irgendetwas stimmte hier nicht. Plötzlich musste er daran denken, wie Pfingstrose für die anderen Kurtisanen das Dienstmädchen spielen musste. Er erhob sich, ging um die Leiche herum zum Tisch, und entdeckte verschiedene Gegenstände darauf: einen Spiegel, einen Kamm, eine Lampe und ein Kästchen aus Lackarbeit, in dem sich ein Blatt dünnes Papier befand. Es war ein Brief, mit Tusche geschrieben.
    »Ihr Abschiedsbrief«, sagte Ota, als Sano das Schreiben an sich nahm.
    Sano fiel auf, dass die anderen Gegenstände auf dem Tisch mit Spritzern getrockneten Blutes bedeckt waren, der Abschiedsbrief jedoch nicht. Er lautete:
     
    Ich will sterben, weil ich den Mann getötet habe, den ich liebe. Es war ein Missgeschick, aber ich habe die Schuld daran.
    Bei unseren Liebesspielen hat Spaen- san oft eine Pistole benutzt, die er in seinem Zimmer versteckt hielt. Er legte sich rücklings aufs Bett, und ich stieg auf ihn. Während wir uns dann liebten, richtete ich die Waffe auf ihn. Oh, das hat uns beiden sehr gefallen! Doch beim letzten Mal wurde meine Erregung so groß, dass mein Finger unwillkürlich den Abzug betätigte. Die Waffe ging los: bumm! Spaen- san schrie. Und durch den Rauch sah ich ihn tot daliegen, ein blutiges Loch in der Brust.
    Ich hatte solche Angst, dass ich zuerst nicht wusste, was ich tun sollte. Dann nahm ich das Messer von Spaen- san und versuchte, die Kugel aus seinem Leib herauszuschneiden, weil ich der Meinung war, ihn auf diese Weise ins Leben zurückholen zu können. Doch meine Hände zitterten so sehr, dass ich ihm mehrere Male in die Brust stach.
    Ich wusste, dass ich bestraft würde, wenn man herausfand, was ich getan hatte; deshalb wollte ich den Anschein erwecken, als hätte Spaen- san die Insel verlassen, um sich heimlich in der Stadt zu vergnügen. Also zog ich ihm die Hose an, hängte ihm das Kreuz um den Hals und wickelte seinen Körper in Bettdecken. Dann habe ich ihn nach draußen und bis zum Schleusentor geschleift. Es regnete heftig, und niemand war zu sehen. Ich habe das Tor aufgesperrt und Spaen- san ins Meer gestoßen. Die Pistole und das Messer warf ich ihm hinterher. Dann bin ich zurück zu seinem Zimmer gerannt. Ich habe mich gewaschen, habe das Bett frisch bezogen und so getan, als würde ich schlafen, bis am Morgen die Wachen zu mir kamen.
    Möge der Geist meines Geliebten mir vergeben. Ich hoffe, dass wir uns im Paradies wiedersehen und dort bis

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