Die Spur fuehrt nach Tahiti
nachdem Berlin Hauptstadt werden soll, so rar wie Gänseblümchen in der Antarktis.“
„Ja, es hat sich einiges geändert“, stellte Manni Zasche fest und legte auf.
„Dann hat es vermutlich keinen Sinn in Steglitz anzurufen.“
„Ich dachte, du gibst so schnell nicht auf“, stichelte Tante Frieda.
Und schon zehn Minuten später saß Zasche im Taxi. „Rubensstraße 192 in Steglitz“, sagte er zu dem Fahrer.
Herr Bemmelmann sah so aus, wie in aller Welt Großväter in Bilderbüchern aussehen. Schneeweißes Haar, eine rosige Haut und zwei lustige Augen, die zwischendurch auch so gucken konnten, als sagten sie: „Freund, wenn du wüßtest, was ich schon alles erlebt habe.“
„Es tut mir leid, daß ich Sie bitten mußte, so schnell wie möglich hier zu sein“, entschuldigte sich Herr Bemmelmann. „Aber in einer Viertelstunde erscheint ein Bewerber, dem ich schon so halb und halb zugesagt habe. Sie kommen leider reichlich spät. Aber zuerst sollten Sie sich mal umsehen.“
Das Zimmer gefiel Manfred Zasche ganz ungemein. „Das wäre haargenau das richtige für mich“, sagte er. Wenn man vom Balkon in den viereckigen Hinterhof blickte, stand dort in der Mitte ein mickriger Baum mit einem schiefen Stamm und einer schrägen Krone darauf.
„Vermutlich hat er sich bei dem ständigen Suchen nach Sonne im Lauf der Jahre den Hals verstaucht“, witzelte Herr Bemmelmann, als er neben Zasche an ihm vorbei wanderte.
Seine Wohnung lag im anderen Seitenflügel und dem zu vermietenden Zimmer genau gegenüber. Nur ein Stockwerk höher.
„Ich bin seit zwei Jahren Rentner“, erzählte Bemmelmann, als er seinen Besucher bei sich eintreten ließ. „War beim Finanzamt und jetzt hier der Hausverwalter. Nebenbei habe ich noch so meine Marotten.“ Er zeigte auf einen Käfig mit zwei Wellensittichen, und anschließend führte er Manfred Zasche auf seinen Balkon, der rundherum mit Blumenkästen voller roter Geranien bestückt war. Besonders ins Auge fiel aber ein Tisch, der mit Büchern und Aufzeichnungen zugedeckt war. Eine Art Weltkugel, die aber nur Sterne zeigte, stand neben einem Fernglas, das Herr Bemmelmann auf ein Stativ montiert hatte.
„Sind Sie Astrologe?“ fragte Manni vorsichtig, weil es sich hier um ein Gebiet handelte, von dem er keine Ahnung hatte.
„Astronomie“, korrigierte Herr Bemmelmann höflich, „Himmelskunde. Alles sehr laienhaft. Ein Profi würde sich vermutlich totlachen über mich. Aber es macht mir eben Spaß. Ich führe Messungen durch, notiere meine Betrachtungen, und wenn ich gelegentlich Lust habe, vergleiche ich sie mit den Aufzeichnungen der amtlichen Sternwarte in Dahlem. Inzwischen habe ich mich dort mit einem der Herren angefreundet.“ Er ließ sich in einen Korbstuhl fallen und sagte plötzlich: „Sie sind doch Manfred Zasche?“
Der strohblonde, hochgewachsene Mann war sprachlos.
„Immerhin waren Sie heut morgen in allen Zeitungen abgebildet. Ich hab’ Sie schon erkannt, bevor Sie vorhin aus dem Taxi geklettert sind.“
Manni Zasche wußte immer noch nicht, was er sagen sollte.
„Jetzt machen Sie nicht länger ein Gesicht, als hätte Ihnen das Christkind die Tür vor der Nase zugeschlagen.“
„Dann kann ich ja wieder gehen. Vorbestrafte stehen ja wohl nicht auf Ihrer Liste, wenn Sie sowieso von Bewerbern nur so überlaufen sind“, meinte der strohblonde Besucher. Er wollte sich bereits wieder verdrücken, da klingelte das Telefon.
„Ja, Sie sind durchaus richtig verbunden“, sagte Herr Bemmelmann und horchte eine Weile in den Hörer hinein. Schließlich blickte er Manfred Zasche an und meinte dabei: „Sie haben leider Pech, ich bin in diesem Augenblick im Begriff, das Zimmer zu vermieten. Trotzdem besten Dank für Ihren Anruf.“ Er legte wieder auf und sagte: „Nehmen Sie doch Platz, Herr Zasche.“
Manni kam der Einladung nur zögernd nach. „Soll das etwa heißen —“
„Wie ich Ihnen bereits sagte, war ich mein Leben lang beim Finanzamt“, fing Bemmelmann zu plaudern an. „Wissen Sie, wenn man so viele Jahre lang tagaus und tagein erlebt hat, wie ehrenwerte Bürger bis zu den bekanntesten Persönlichkeiten, kleine Betriebe bis zu den renommiertesten Unternehmen immer wieder versuchen, mit mehr oder weniger schlauen Tricks den Staat zu bestehlen, dann zimmert man sich, ob man es will oder nicht, allmählich seine eigene Moral zurecht. Und dazu gehört unter anderem, daß ich inzwischen auch bei der Beurteilung von Verbrechen gewisse Unterschiede
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