Die Staatskanzlei - Kriminalroman
herum Schniefen, Husten und Niesen. Auch die junge Frau neben ihr wurde immer wieder von heftigen Hustenattacken erfasst.
Sie rückte so weit es ging ans Fenster. Bisher hatte sie allen Ansteckungsgefahren getrotzt. So kurz vor Weihnachten wollte sie sich nichts einfangen. Dicht am Fenster zog es zwar, aber sie hatte Abstand zwischen sich und der Virenträgerin geschaffen. Kurz hinter Wolfsburg hielt der Zug auf freier Strecke. Eine Betriebsstörung verzögerte die Weiterfahrt um dreißig Minuten.
Über ihr Handy rief sie in ihrem Vorzimmer an und bat darum, Milner über ihre Verspätung zu informieren. Frau Stigler gab sich geschäftig, rief wenige Minuten später zurück. Herr Milner habe verärgert reagiert, länger als eine halbe Stunde würde er nicht auf sie warten.
Die S-Bahn, die sie vom Hauptbahnhof nach Neukölln bringen sollte, war sogar pünktlich. Britta König hatte das Gefühl, die einzige Deutsche im Waggon zu sein. Sie vertrieb sich die Zeit damit, das Sprachgewirr zu entschlüsseln. Rumänisch, Russisch, Türkisch erkannte sie, die übrigen Sprachen nicht. Mindestens zehn verschiedene Nationalitäten, vermutete sie, vielleicht auch mehr.
Von der Haltestelle Silbersteinstraße waren es nur wenige Minuten zur Hermannstraße. Am Treppenausgang lümmelte eine Gruppe Jugendlicher. Sie blockierten die Treppenstufen und machten keine Anstalten, sie durchzulassen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als umzudrehen und einen anderen Ausgang zu suchen. Weitere kostbare Minuten waren verloren.
Sie hetzte zu der angegebenen Adresse. Einige tief verschleierte Frauen mit Kinderwagen kamen ihr entgegen, vereinzelt auch junge, modisch gekleidete Türkinnen mit offenen Haaren. Es wunderte sie, dass der Milliardär ausgerechnet in dieser Gegend sein Büro hatte. Auch die Fassade des Gebäudes mit der angegebenen Adresse war schäbig, kein Firmenschild, nur Klingeln, darunter eine mit kyrillischer Schrift. Das musste er sein.
Der Summer wurde betätigt und die Haustür sprang auf. „Hier herauf“, ertönte eine harte Stimme aus dem zweiten Stock. Der Eingang zu Milners Büroräumen im ersten Stock wurde durch einen fast zwei Meter großen, breitschultrigen Mann mit kurz geschorenen Haaren ausgefüllt. Sie ignorierte den grimmigen Blick und stellte sich vor. Wortlos machte er Platz. Im Inneren erwartete sie eine Überraschung. Die Einrichtung war vom Feinsten, Metalltapeten in Silber und Bronze, die schneeweißen Möbel wirkten zierlich, an den Wänden düstere Gemälde mit merkwürdig verzerrten Fratzen. Sie passten nicht zu den Tapeten.
Der Wortlose führte sie in den angrenzenden Raum. Dieses Zimmer wirkte nüchterner. Der weiße Marmorfußboden und die schneeweiße Wandvertäfelung strömten Kälte aus. Der elegant gekleidete Mann hinter dem ausladenden Schreibtisch musste Boris Milner sein. Er mochte um die fünfzig sein, sein rundliches Gesicht schaute sie mürrisch an. Er stand nicht auf, bot ihr auch keinen Platz an, beließ es bei einem kurzen Kopfnicken zur Begrüßung. Sie ignorierte sein unhöfliches Benehmen und nahm auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz.
Der Stumme stellte sich hinter seinen Chef und nahm sie ins Visier. Befürchtete Milner, von ihr attackiert zu werden? Erst jetzt bemerkte die Beamtin die Tätowierungen an den Armen des Bewachers. Das ist der mieseste Auftrag, den ich je von meinem Dienstherrn bekommen habe, befand sie im Stillen und versuchte sich an einem Gespräch. Unverbindlicher Small Talk, wie sie es aus ihren vielen Besprechungen mit Unternehmern kannte. Ihr Gegenüber ging darauf nicht ein. „Was wollen Sie von mir?“, bellte er sie an. Britta König war zu sehr Profi, um sich aus der Fassung bringen zu lassen. „Die Landesregierung möchte Sie gerne näher kennenlernen. Sie sind einer der größten Investoren im Land. Der Ministerpräsident legt Wert auf gute Kontakte zur Wirtschaft.“
„Ich habe kein Interesse an Kontakten zur Politik, ich bin Geschäftsmann“, knurrte der Russe.
Sie versuchte ihr Bestes, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Er wollte nichts von sich preisgeben. „Deutschland ist ein freies Land und ich bin ein freier Unternehmer“, betonte er. Dann wollte er wissen, woher sie von seinen Firmenbeteiligungen wusste. Sie antwortete ausweichend.
Nach einer Viertelstunde gab die Beamtin auf. Dieser Mann war ein uneinnehmbarer Panzer. Als sie sich verabschiedete, neigte er sich über den Schreibtisch zu ihr vor, um ihr die Hand zu geben. Der Blick in
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