Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Niemann war ein feiner Kerl, tut mir echt leid um den.“
„Wie es aussieht, nicht.“
„Ministerialrat Meyer meint, das gehe nicht mit rechten Dingen zu. Da zieht jemand im Hintergrund die Fäden, hat er gesagt. Habe ihn gestern nach Holzminden gefahren.“
Wagner seufzte. Er war hundemüde und fühlte sich merkwürdig benommen. „Meyer ist ein Schwätzer. Und jetzt, lieber Nils, lassen Sie mich in Ruhe schlafen und wecken Sie mich erst, wenn wir in Papenburg angekommen sind.“
Um zehn nach neun erreichten sie Papenburg. Nils hatte Schwierigkeiten, den Regierungssprecher zu wecken. Als Wagner auf mehrfache Ansprache nicht reagierte, schüttelte er ihn ziemlich unsanft. „Sie schlafen ja wie ein Toter.“
Wagner war verwirrt und sein Kopf brummte. Es kostete ihn Mühe, wach zu werden. Am liebsten hätte er tagelang weitergeschlafen. Was war bloß mit ihm los? Der Fahrer war erkennbar stolz auf seine Fahrkünste. „Ganz haben wir es nicht geschafft, aber fast. Das akademische Viertel ist noch nicht erreicht.“
Als Wagner ausstieg, war ihm schwindelig. Er hatte das Gefühl, dass die Stufen der breiten Treppe zum Eingangsportal des imposanten Rathauses vor seinen Augen verschwammen. Der Bürgermeister begrüßte ihn herzlich. In seinem Büro war ein kleines Frühstück vorbereitet. Wagner ließ die knusprigen Croissants stehen. Der Kaffee tat ihm gut.
Der Regierungssprecher überbrachte gute Nachrichten. Das Kabinett hatte in seiner letzten Sitzung entschieden, dass Papenburg den Zuschlag für die Landesgartenschau 2014 erhalten sollte. „Das verdanken wir unserem Abgeordneten. Uwe Stein ist ein großartiger Politiker, ein Mann, dem die Zukunft gehört“, zeigte sich der Bürgermeister überzeugt.
Wagner kannte die wahren Hintergründe. Uwe Stein war nicht beteiligt gewesen. Aber weshalb sollte er Wasser in den Wein schütten und immerhin gehörte Stein der Regierungspartei an. Und dass er ein kluger Kopf und ein begnadeter Redner war, daran bestand kein Zweifel.
Dann wurde der Leiter des Gartenbauamtes dazugeholt, Pläne wurden ausgebreitet und dem Gast aus Hannover das Ausstellungskonzept erläutert. Wagner konnte nicht viel mit den Plänen anfangen. Sein Interesse war geheuchelt, was die beiden Papenburger nicht bemerkten. Der Bürgermeister gab sich euphorisch. Seine Stadt werde die schönste Landesgartenschau durchführen, die das Land Niedersachsen je gesehen hätte. Übergangslos kam er dann auf die Mordfälle zu sprechen. Die Besorgnis über die Vorfälle in der Landesregierung hatte auch die ländlichen Regionen erreicht. Wagner wurde gebeten, dem Regierungschef die uneingeschränkte Anteilnahme der Papenburger Bürger zu übermitteln.
Weiter ging es nach Leer. Nils, ein begeisterter Hobbyfotograf, hatte die Zeit genutzt und Aufnahmen vom Rathaus und dem angrenzenden Barockvorgarten gemacht. Auf der Fahrt nach Ostfriesland unterhielt er Wagner mit einem peinlich genauen Bericht über die Fotomotive. Der Ziegelbau aus den Anfängen des vorigen Jahrhunderts sei zwar ein Mischmasch verschiedener Baustile, aber überaus gelungen. Vor allem die Kartuschen und das aufwendige Säulenportal hatten es dem Fahrer angetan.
Gutgetan hatte der Aufenthalt auch Wagner. Allerdings nicht der Baustil des Rathauses, sondern der starke Kaffee. Die Benommenheit war weg, die Kopfschmerzen nur noch latent vorhanden. Kurz bevor sie Leer erreichten, riss die Wolkendecke auf. Von drohendem Eisregen keine Spur. Nils war Feuer und Flamme, sprach von den Fotomotiven, die in Leer auf ihn warteten. Die Altstadt mit dem schmucken Weihnachtsmarkt, die 12 Meter hohe Weihnachtspyramide und ein 5 Meter hoher Nussknacker wurden erwähnt.
Wagner ließ sich am Hafen absetzen. In dem historischen Gasthaus Waage war ein Arbeitsessen mit Vertretern des Einzelhandels angesetzt. Eigentlich hätte Heise den Termin wahrnehmen sollen.
In der Seefahrtstube war liebevoll gedeckt. Das historische Ambiente strahlte Gemütlichkeit aus. Es gab Labskaus mit Jever Pils vom Fass. Vor einigen Stunden hatte Wagner sich sterbenskrank gefühlt, jetzt waren Lebensgeister und Appetit zurückgekehrt. Grund des Treffens war ein geplantes Einkaufszentrum in Innenstadtlage. Der Einzelhandel befürchtete Umsatzeinbrüche, der Rat der Stadt war heillos zerstritten, die Landesregierung sollte es richten.
Der Präsident des Einzelhandelsverbandes, Inhaber eines Einzelhandelsgeschäfts in vierter Generation, erging sich in Lobeshymnen über
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