Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Ministerialdirigent Heise. Erneut fielen Worte wie Freund des Mittelstands, zupackend und unbürokratisch. Der ebenfalls ermordete Niemann fand keine Erwähnung. Wenn ihr wüsstet, dachte Wagner, während er kräftig zulangte. Zum Nachtisch gab es Eis mit in Rum eingelegten Pflaumen. Dazu unterhielt einer der Teilnehmer die Runde mit den neuesten Ostfriesenwitzen. Der Regierungssprecher wäre gerne geblieben, fernab von den Staatskanzleimorden und der Hektik des Büroalltags. Erstmals seit Wochen fühlte er sich wieder wohl in seiner Haut.
Schweren Herzens verabschiedete er sich von der gut aufgelegten Corona mit dem Versprechen, dass der Ministerpräsident sich persönlich der leidigen Sache annehmen werde. Die Lüge ging ihm leicht von den Lippen. Zurück in der Landeshauptstadt würde er das Anliegen beim zuständigen Abteilungsleiter im Ministerium für Raumordnung abladen. Auch Fahrer Nils war glücklich, schwärmte von der vorweihnachtlichen Kulisse der malerischen Altstadt.
Ein Anruf seiner Sekretärin kurz vor dem Bremer Kreuz riss ihn aus dem Halbschlaf. Sie ratterte eine lange Liste mit Namen von Journalisten herunter, die auf Wagners Rückruf warteten. Fast immer ging es um die Mordfälle. Die Vermutung, dass eine Geistesgestörte für die Morde verantwortlich war, hatte die Medien erreicht. Der Alltag hatte ihn wieder.
67
H ANNOVER
Das Weihnachtsfest stand unmittelbar vor der Tür und Hauptthema der Morgenlage beim Regierungschef war die Neujahrsansprache. Neben dem Ministerpräsidenten selbst waren Staatssekretär Haders und Wagner anwesend. Letzterer war nicht bei der Sache. Selbst dass ausgerechnet die stets pünktliche, pflichtbewusste Beamtin König unentschuldigt der Morgenlage ferngeblieben war, ging an ihm vorbei. Der Chef selbst war verärgert, gehörte es doch zu den Aufgaben der seit Kurzem von Frau König geleiteten Politischen Abteilung, die Neujahrsansprache zu schreiben.
Wagners Gedanken kreisten um anderes. Er hatte sich Hals über Kopf verliebt. Dabei war er der Einladung seiner Kollegin Sybille nur widerwillig gefolgt. Zu seinem Leidwesen hatte sie sich mit dem Stinkstiefel Jakob versöhnt, ein Ereignis, das seine Kollegin in Spendierlaune versetzte. Ein Gänseessen im legendären Restaurant Wichmann war etwas Besonderes. Trotzdem hatte er gezögert, die Einladung anzunehmen. „Komm, sei kein Frosch, es kommen noch weitere Freunde von mir“, hatte sie gedrängelt. Dem erwartungsvollen Blick aus ihren großen braunen Augen hatte er nicht widerstehen können.
Die „anderen Freunde“ bestanden aus Sybilles bester Freundin Monika. In seinen Augen eine atemberaubend schöne Frau. Sie entschädigte für die Anwesenheit des drögen Jakob. Zu seiner Überraschung schien Monika auch an ihm Gefallen zu finden. Sie lachte über seine Scherze und erkundigte sich eingehend nach seinem Job und den Mordfällen.
„Die Staatskanzleimorde sind bei unseren Kundinnen das Thema Nummer eins“, begründete sie ihr Interesse. „Mord in besseren Kreisen und dann noch in der Politik, das finden die Damen bei uns spannend.“
„Bei uns“ war der führende Schönheitstempel der niedersächsischen Landeshauptstadt und die Damen waren die gut betuchten Kundinnen aus der oberen Mittelschicht der Region. Im Laufe des Abends erfuhr er einiges über sie. Monika lästerte ordentlich ab, mokierte sich über Frauen, die aus Angst vor dem Älterwerden Cremetiegel für tausend Euro und mehr kauften. Nur wenn man so jung und schön ist wie du, kann man so reden, hatte er gedacht und Mitleid mit den gut betuchten Kundinnen empfunden.
Der naheliegende Gedanke, dass Monikas Spott wenig loyal gegenüber ihrem Arbeitgeber war, war ihm nicht gekommen. Er fand sie unwiderstehlich. Schon heute Abend würden sie sich auf dem Weihnachtsmarkt treffen und er, der gestandene Regierungssprecher, war aufgeregt wie ein Pennäler vor seinem ersten Date. Im Überschwang seiner Gefühle hatte er sogar seine tägliche Ration Schokoladenkekse, die seine Sekretärin ihm jeden Morgen auf den Schreibtisch stellte, achtlos stehen lassen.
Die raue Wirklichkeit holte ihn wieder ein, als die schöne Frau Stigler mit der Nachricht in die Morgenlage platzte, dass Britta König nicht am Arbeitsplatz erschienen war. Frau Stigler, die nach Heises Tod in Britta Königs Vorzimmer das Kommando führte, war unruhig geworden, als ihre Vorgesetzte um halb neun noch immer nicht aufgetaucht war.
Normalerweise saß die pflichtbewusste Beamtin ab
Weitere Kostenlose Bücher