Die Staatskanzlei - Kriminalroman
bloß geritten, mit dieser Frau ins Bett zu steigen? „Morgen, Bernd“, sagte sie. Er dachte angestrengt nach. Ihr Namen wollte ihm trotzdem nicht einfallen.
„Du bist ja vielleicht eine Schlafmütze. Ich bin nur kurz ins Badezimmer gegangen. Als ich zurückgekommen bin, warst du eingeschlafen und nicht mehr wach zu bekommen.“
Trotz seiner hämmernden Kopfschmerzen und obwohl er in den letzten Wochen wahrlich keinen Grund gehabt hatte, dem lieben Gott dankbar zu sein, schickte er ein Dankesgebet gegen Himmel. Es war also nichts vorgefallen zwischen ihnen.
„Tut mir leid, ich war wohl todmüde“, brummelte er. „Hast du Kopfschmerztabletten?“
„Im Badezimmerschrank, unteres Fach.“ Sie schob die Bettdecke beiseite. Ihr nackter Körper war extrem dünn, die Knochen stachen hervor. Er schaute schnell weg. „Jetzt muss ich erst mal da rein, ich muss mich beeilen. Meine Blase. In fünf Minuten kannst du ins Badezimmer“, sagte sie.
In was für beschissene Situationen brachte er sich? Der Ministerpräsident hatte recht, das Vagabundendasein musste ein Ende haben. So konnte es mit ihm nicht weitergehen.
Seine Armbanduhr zeigte ihm an, dass heute der siebzehnte Dezember war und es bereits nach acht war. Verflucht und zugenäht, um halb neun wartete der Referentenfahrer vor der Staatskanzlei auf ihn. Eine Dienstreise ins Emsland. Er würde keine Zeit mehr haben, in seine Wohnung zu fahren und sich umzuziehen. Nach wenigen Minuten erschien die Frau ohne Vornamen. Als er ins Badezimmer wollte, erkundigte sie sich nach dem Stand der Mordermittlungen.
„Dazu kann ich leider nichts sagen. Ich weiß auch nicht mehr, als in den Zeitungen steht.“ Er wollte so schnell wie möglich verschwinden.
„Du hast mir doch erzählt, dass du Regierungssprecher bist, da müsstest du doch mehr wissen“, insistierte sie. Hatte sie ihn nicht gestern Abend auch schon gelöchert, kurz vor seinem Filmriss? Wenn er sich doch bloß erinnern könnte.
„Ich bin weder Innenminister noch der Regierungschef. Und jetzt muss ich mich beeilen“, wiegelte Wagner ab.
Auch im Badezimmer herrschte eine merkwürdige Leere. Der Wandschrank war bis auf die Schachtel mit Asperintabletten und einer neu aussehenden Zahnbürste nebst Zahnpasta sowie einem Tiegel mit Gesichtscreme leer. Für das Badezimmer einer Frau eine ungewöhnlich karge Ausstattung. Da war er anderes gewohnt.
Als er nach einer Katzenwäsche zurückkam, um nach seinem Jackett zu suchen, stand die Frau im Schlafzimmer und schlürfte im Stehen Kaffee. Ihm bot sie keinen an. Der Abschied fiel frostig aus. Als er kurz darauf den Fahrstuhl betrat, fiel ihm ein, dass der dunkle Golf auch gestern wieder, als Hollmann und er losgezogen waren, vor seinem Haus gestanden hatte. Heute Abend würde er auf der Hut sein. Wenn der Wagen wieder vor seiner Wohnung auftauchte, würde er der Sache auf den Grund gehen.
Auf der Straße angekommen, warf er einen Blick zurück in die zweite Etage. Die Gardine bewegte sich. Die Frau stand am Fenster und schaute hinter ihm her.
66
P APENBURG UND L EER
Nils, der Referentenfahrer, war ungehalten. „Mensch, Herr Wagner. Die Abfahrtzeit war halb neun, jetzt ist es fünf vor neun. Wie sollen wir das bis elf Uhr schaffen?“
„Sorry, mein Wecker hat nicht geklingelt. Fahren Sie einfach los. Wenn wir zu spät kommen, geht die Welt nicht unter.“
Nils setzte ein bedenkliches Gesicht auf. Während er im rasanten Tempo Richtung Norden fuhr, erging er sich in düsteren Prognosen zur Wetterlage. Für nachmittags war im Weser-Ems-Raum Eisregen angesagt. „Wann sind Sie denn fertig?“, wollte er wissen.
„Kann ich nicht sagen. In Papenburg wird es nicht lange dauern. Der Bürgermeister ist kein Freund großer Worte. Das geht rucki zucki. Leer kann ich schlecht abschätzen. Wenn die Ostfriesen erst mal ins Reden kommen, hören sie nicht so schnell wieder auf.“
Nils war anderer Meinung. „Mein Kollege kommt aus Aurich und kriegt den Mund nicht auf. Wenn überhaupt, dann nur, um über die unzumutbaren Arbeitszeiten zu schimpfen. Und Staatssekretär Haders kommt doch auch aus Ostfriesland. Mehr als einen zusammenhängenden Satz hat der noch nie mit mir gewechselt.“
„Die beiden sind aus der Art geschlagen. Vermutlich ist das der Grund, weshalb Haders in der Landeshauptstadt tätig ist. Die Ostfriesen wollten ihn loswerden.“
Nils lachte. „Das haben Sie gesagt. Sagen Sie, gibt es eigentlich immer noch keinen Fortschritt in den Mordfällen?
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