Die Staatskanzlei - Kriminalroman
sieben Uhr in der Früh am Schreibtisch. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihre Chefin übers Handy zu erreichen, hatte sie Fahrer Nils gebeten, zur Wohnung ihrer Vorgesetzten zu fahren. Auch auf mehrfaches, anhaltendes Läuten hatte sich dort nichts getan. Der Fahrer war unverrichteter Dinge in die Staatskanzlei zurückgefahren und die pflichtbewusste Sekretärin hielt es für geboten, den Ministerpräsidenten zu alarmieren.
Obwohl niemand etwas sagte, stand die unausgesprochene Befürchtung im Raum, dass der Beamtenmörder erneut zugeschlagen hatte. Der umgehend vom Ministerpräsidenten kontaktierte Innenminister hielt sich in seinem Wahlkreis in Cuxhaven auf. Er befürchtete ebenfalls das Schlimmste und setzte sich seinerseits mit dem Direktor des LKA in Verbindung.
Eine zermürbende Warterei begann. Der Ministerpräsident nutzte die Zeit, um die Unterschriftenmappen auf seinem Schreibtisch abzuarbeiten, die anderen sahen schweigend zu. Small Talk war nicht angesagt.
Nach zwanzig weiteren endlos langen Minuten rief der Direktor des LKA an. Die Polizei hatte sich Zugang zur Wohnung verschafft und eine schwer verletzte, bewusstlose Britta König vorgefunden. Alles sah nach einem Kampf aus, in dessen Verlauf die Beamtin niedergeschlagen worden war. Krankenwagen und Notarzt waren bereits unterwegs, Beamte der Soko ebenfalls.
Der sichtlich geschockte Ministerpräsident verlangte, im halbstündlichen Abstand unterrichtet zu werden. Außerdem bestand er darauf, dass seine Beamtin in die Medizinische Hochschule, die erste Adresse für Notfallmedizin, gebracht würde. Nachdem er den Hörer auf die Gabel geknallt hatte, befragte er Frau Stigler, die ungewohnt derangiert wirkte.
„Nein, Frau König hat nach der Dienstreise gestern wie immer gewirkt. Sie hat mich aus dem Zug angerufen, um mir Aufträge zu erteilen. Die Neujahrsansprache hat sie auch erwähnt und mich gebeten, die Redebausteine aus den Referaten für heute früh auf ihren Schreibtisch zu legen. Soll ich die Texte holen?“
„Jetzt nicht“, knurrte der Chef. „Ihr Mann muss verständigt werden, haben Sie seine Handynummer?“
Frau Stigler nickte und wurde mit der Anweisung weggeschickt, ihn auf der Stelle anzurufen. Dass die Stigler vor Kurzem ein Tête-à-Tête mit dem Regierungschef gehabt hatte, war nicht zu spüren. Die Gesprächsatmosphäre war kühl. Nach wenigen Minuten kam sie mit der Nachricht zurück, dass der Ehemann den nächsten Flieger nach Deutschland nehmen werde.
Ein erneuter Anruf von Direktor Ritter. Die schwer verletzte Beamtin befand sich auf der Intensivstation der Medizinischen Hochschule, eine Notoperation stand bevor. Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit in der Wohnung der Beamtin aufgenommen. Wie in den beiden anderen Fällen gab es keine Einbruchsspuren. In anderen wesentlichen Punkten unterschied sich der Tathergang jedoch. Dieses Mal war das Opfer niedergeschlagen worden. Der Aufprall auf dem Wohnzimmertisch aus Marmor, der zu den lebensgefährlichen Verletzungen am Hinterkopf geführt hatte, war womöglich ein Unfall. Noch war es zu früh für Rückschlüsse. Dass der Täter ein anderer war, schien indes gesichert zu sein. Wagner wusste nicht, ob er darüber erleichtert sein sollte oder nicht.
Kurz darauf meldete sich der Chefarzt der Intensivstation der Medizinischen Hochschule. Der Ministerpräsident stellte auf Lautsprecher, damit die anderen mithören konnten. „Ihr Gehirn ist stark beschädigt. Falls die Patientin überlebt, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, wird sie bleibende Schäden davontragen“, teilte der Arzt mit.
„Welche Schäden?“
Die Antwort kam prompt, sie klang geschäftsmäßig. „Sprach- und Gedächtnisstörungen. Sie wird erhebliche Probleme haben, sich zu artikulieren und zu konzentrieren. Möglicherweise wird sie überhaupt nicht mehr sprechen können.“
Nach dem Telefonat herrschte minutenlanges Schweigen im Raum. Jeder war mit sich und seinen Gedanken beschäftigt. Der Schock, dass ausgerechnet die Karrierefrau Britta König niemals wieder in ihrem Job würde arbeiten können, musste verdaut werden.
68
Dieses Mal ging alles rasend schnell. Mithilfe von Aufzeichnungen der Mailbox von Britta Königs Handy konnte der Mann, der sie niedergeschlagen hatte, noch am selben Tag ermittelt und festgenommen werden.
Gregor Mahow, 29 Jahre alt, war für die Polizei kein Unbekannter. Der Deutsch-Russe war im Alter von neun Jahren mit seinen Eltern und Großeltern aus Omsk nach
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