Die Staatskanzlei - Kriminalroman
oder weshalb sind Sie so schnell verschwunden?“
Verena fühlte sich wie ein ausgenommener Hering. Stollmanns dröhnende Fröhlichkeit war ihr an diesem Vormittag lästig. Es hatte sie Mühe gekostet, überhaupt aufzustehen und ins Büro zu fahren. Jetzt blätterte sie lustlos in der noch immer ungelesenen Akte auf ihrem Schreibtisch.
„Ich war müde.“
„Dein scharfer Fummel und die neue Frisur, echt klasse. Auf mich hast du einen munteren Eindruck gemacht.“
Sie nahm ihren Kopf hoch und schaute ihn missbilligend an. Das zerknitterte Gesicht, das er ihr entgegenhielt, ließ ihn eher wie sechzig als wie fünfzig aussehen. Der gute Stolli wurde älter, wie sie selbst. „Was willst du nun wirklich, ich muss arbeiten.“
„Mein Gott, sind wir schlecht drauf heute. Aber vielleicht bessert sich deine Laune, wenn ich dir sage, was ich vor fünf Minuten erfahren habe.“
Sie antwortete nicht. Ihr Blick war skeptisch. Gute Nachrichten hatten in letzter Zeit den Seltenheitswert eines Goldfundes in der niedersächsischen Tiefebene.
„Unser Freund Gregor Mahow, der Gespiele unserer sexlüsternen Ministerialbeamtin, dient nicht nur einem Herrn. Er steht auf der Gehaltsliste eines gewissen Boris Milner. Und nun halt dich fest: Milner ist einer der ganz Großen, er soll mehrere Milliarden schwer sein. Er gehört zu der Clique ehemaliger KGB-Männer, die der Zusammenbruch der GUS-Staaten nach oben gespült hat. Du erinnerst dich an die verschwundenen Milliarden, die Deutschland damals zahlen musste. In den Neunzigern soll er eine der brutalsten Mafiaorganisationen in Petersburg geleitet haben. Später ist er ins Energiegeschäft eingestiegen und gibt jetzt den seriösen Geschäftsmann. Er hat einen Zweitwohnsitz in Potsdam und ein Büro in Berlin.“
„Und woher weißt du das alles?“
Stollmann setzte sich ihr gegenüber und schaute sich suchend um. „Kein Kaffee heute Morgen?“
„Er ist alle, wolltest du nicht neuen kaufen?“
Stollmann überhörte die Frage. „Ich habe dir doch von meiner Bekannten beim BKA erzählt. Du erinnerst dich, die ich letztes Jahr auf dem Fortbildungsseminar kennengelernt habe. Sie hat von dem Überfall auf Britta König gelesen und mich angerufen. Mahow gehört zu Milners Leuten.“
Verena schob die Akte beiseite. „Hast du nicht eine Metamorphose erwähnt und dass er jetzt auf seriösen Geschäftsmann macht?“
„Vermutlich hat er noch immer Dreck am Stecken. Einmal Dreck, immer Dreck. Obwohl er sich hierzulande die Finger bislang angeblich nicht schmutzig gemacht hat. Das BKA hat trotzdem ein Auge auf ihn geworfen. Milner ist ganz groß in Deutschland eingestiegen. Sein Schwerpunkt ist Niedersachsen. Gegen vier Milliarden schmutziges Geld können deutsche Geschäftsleute nicht anstinken. Der Mittelstand schon gar nicht. Was der Kerl haben will, reißt er sich unter den Nagel. Und das war in letzter Zeit eine ganze Menge. Ihm gehören inzwischen etliche norddeutsche Unternehmen, eine Reederei, zwei Werften, Fischereibetriebe, Hühnerfarmen, Zuliefererbetriebe, einmal quer durch den Gemüsegarten der niedersächsischen Wirtschaft sozusagen. Nur gut, dass es das VW-Gesetz gibt, sonst würde er sich den größten Automobilkonzern Europas auch noch unter den Nagel reißen. Mag man sich gar nicht vorstellen, was das für Folgen hätte. Mehrere hunderttausend Arbeitsplätze von einem Oberganoven abhängig?“
„Soweit mir bekannt ist, will die EU das Gesetz zu Fall bringen. Aber das ist nicht unsere Baustelle, Stolli. Sag mir lieber, was Mahow für Milner macht?“
„Jedenfalls keine seriösen Geschäfte. Dafür engagiert Milner die besten Wirtschaftsberater und Fachanwälte, die der deutsche Markt zu bieten hat. Als Meister Propper wird Mahow sich nicht betätigen. Ich schlage vor, wir fragen ihn. Es könnte doch sein, dass er auf Britta König angesetzt wurde. Was in den deutschen Regierungszentralen ausgeheckt wird, interessiert Milner vermutlich brennend. Wissen wir, ob die ehemaligen KGB-Muftis nicht einen Umsturz planen?“
„Du spinnst doch.“
„Sei dir da mal nicht so sicher. Nicht wenige von denen sind bis oben voll mit Rachegefühlen auf den westlichen Kapitalismus.“
„Stolli, bleib auf dem Boden. Es geht um Mahow, nicht um Milner.“
„Genau. Er hat ausgesagt, Britta König zufällig in einem Fitnessclub kennengelernt zu haben. Vielleicht war es nicht Vater Zufall, der die beiden zusammengeführt hat, sondern sorgfältig geplantes Kalkül. Ist doch
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