Die Staatskanzlei - Kriminalroman
ein charmanter Hund, der Liebling der Medien und der Frauen. Vor allem ist er skrupellos. Hinter seiner ansehnlichen Fassade verbirgt sich ein vom Ehrgeiz getriebener Mann. Er liegt schon lange auf der Lauer, um im richtigen Moment zuzuschlagen. Gegen mich traut er sich nicht, bei Albi wird er den Helm aufsetzen, die Boxhandschuhe überstreifen und in den Ring steigen.“
Wagner war noch nicht überzeugt. „Bitter ist seit Ewigkeiten Parteivorsitzender, er wird nicht kampflos das Feld räumen.“
Der Ministerpräsident schob den Teller beiseite. „Wer spricht von kampflos? Der Kampf ist bereits in vollem Gange. Stein fährt seit Monaten durch die Lande, macht sich bei den Kreisverbänden und Landtagsabgeordneten lieb Kind. Er ist smart, gibt sich modern und hat sich für die Quote ausgesprochen. Quoten-Peters und ihre Geschlechtsgenossinnen fressen ihm aus der Hand. Albi ist einem wie dem nicht gewachsen, nicht im äußeren Erscheinungsbild und nicht, was das Einmaleins der politischen Intrige betrifft.“
Auch Wagner schob seinen noch fast vollen Teller beiseite. Monika war das Opfer wert. „Und für den soll ich arbeiten?“
„Nicht für den, für unsere Partei, Wagner. Trotz der Schwächen meiner Leute ist sie das kleinere Übel. Die Opposition wäre eine Katastrophe für unser Land. Denken Sie an die Landtagsdebatte letzte Woche. Was die Opposition geboten hat, war eine Zumutung für jeden halbwegs klar denkenden Bürger. Verbale Konto-Überziehungen am laufenden Band. Ich kam mir vor wie im Kabarett. Auf niedrigstem Niveau allerdings. Ein Teil meiner Leute mag dämlich sein, aber das Programm stimmt. Bei der Opposition stimmt gar nichts. Außerdem: Sie wollen doch nicht das Land dieser Xanthippe überlassen. Es reicht doch, wenn sie ihren Mann kujoniert. Auch wenn er Oppositionsführer ist, tut er mir leid: Mit einer dermaßen exaltierten Frau gestraft zu sein, muss die Hölle sein.“
Wagner schielte nach der Rotweinflasche. Er traute sich nicht, nachzuschenken. Und der Kellner war nicht in Sicht. „Umso wichtiger ist es, dass Sie weitermachen.“
Der Ministerpräsident griff nach der Flasche, nach einem prüfenden Blick auf Wagners leeres Glas schenkte er den restlichen Inhalt in sein eigenes Glas. „Nein, Wagner, ich bin müde: Neun Jahre Regierungschef, das heißt hundert und mehr Firmenjubiläen, ebenso viele Eintragungen ins Goldene Buch, Eröffnungen von Schützenfesten, Ausstellungen, Messen und immer lächeln. Immer wieder lächeln, auch wenn dir zum Heulen zumute ist. Kein Mensch fragt danach, wie es in dir aussieht, ob du gerade erfahren hast, dass dein Kind einen Unfall hatte, dein Vater an Alzheimer erkrankt ist oder deine Frau ans Saufen gekommen ist.“
Mit der letzten Bemerkung brachte er Wagner ins Grübeln. Hollmann behauptete seit Längerem, dass die Frau des Regierungschefs an der Flasche hing.
Die Leute vom Nachbartisch schauten zu ihnen herüber. Der Ministerpräsident war ungewohnt laut geworden. Er senkte seine Stimme. „Lächeln gehört zum Politiker wie Mehl zum Brot. Selbst wenn man von Bürgern angepöbelt wird, hat man zu lächeln. Was glauben Sie, wie viel Kraft es kostet, immer präsent und immer gut drauf zu sein. Von dem nie enden wollenden Krisenmanagement, dem permanenten Entscheidungsdruck will ich erst gar nicht reden. Die Bürger rufen nach entscheidungsstarken Politikern, und wenn wir entscheiden, protestieren sie. Sie verlangen nach Politikern, die ihnen die Wahrheit sagen und wehe du tust es. Dann wählen sie dich ab. Und dann überall im Norden unseres Landes Grünkohlessen. Jedes Jahr im Herbst Grünkohl und Bregenwurst. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke. Nie wieder Grünkohl! Gott wird das schön.“
Er trank das Glas mit einem Schluck aus, stellte es mit einer heftigen Bewegung auf den Tisch. „Am Anfang hat es mir Spaß gemacht: Man glaubt, man kann etwas verändern. Man ist plötzlich wer, man ist bekannt, wird hofiert, genießt Privilegien: den gepanzerten Mercedes mit Fahrer, Bodyguards und ständig Speichellecker um dich herum. Irgendwann erkennst du: Die Menschen, die dich hofieren, meinen nicht dich, sie meinen dein Amt. Sie wollen vom Kuchen möglichst viel abbekommen, sie wollen sich in deinem Dunstkreis sonnen.“
„Noch ein Wunsch, die Herrschaften?“ Der Oberkellner hatte sich unbemerkt genähert. Der Ministerpräsident gab mit einer unwilligen Handbewegung zu verstehen, dass er nicht gestört werden wollte.
„Und mit der
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