Die Staatskanzlei - Kriminalroman
beschwörenden Tonfall: „Ja, ja, ich weiß: Der Föderalismus feiert Triumphe in diesem Land. Davon konnte die Öffentlichkeit sich gerade erst wieder bei Querelen mit dem Verfassungsschutz ein Bild machen. Was dich betrifft, ich wollte es dir nicht sagen, aber du lässt mir keine andere Wahl.“
Wagners Interesse an den Offenbarungen seines Gegenübers hielt sich in Grenzen. Ging es etwa wieder um die angeblich brandheiße Sache und um Baumgart? Der Ministerpräsident wollte davon nichts hören und ihn selbst beschäftigte die weitaus wichtigere Frage, was er Monika zu Weihnachten schenken sollte. Ein Ring, hieß mit der Tür ins Haus fallen, vielleicht Ohrringe oder eine Brosche?
„Ich habe dir doch von meiner besonderen Gabe erzählt, du erinnerst dich?“
Wagner nickte. Saphirohrringe, das war’s. Sie würden gut zu ihren tiefblauen Augen passen.
„Vorgestern Nacht hatte ich wieder so einen Traum.“ Die Stimme seines Freundes klang beschwörend. „Wie du weißt, hat es bisher jedes Mal gestimmt. Als ich geträumt habe, dass mein Lehrer stirbt, war er zwei Tage später tot. Und am Morgen nach der Nacht mit dem schrecklichen Traum, in dem mein Lieblingsonkel auf mich zugewankt und vor meinen Augen zusammengebrochen ist, ist er tot in seinem Bett aufgefunden worden. Ein Herzschlag.“
Hollmann sah ihn erwartungsvoll an. Es kostete Wagner Mühe, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Träumen konnte er im Moment ausschließlich etwas abgewinnen, wenn sie sich um Monika drehten. „Ja, klar erinnere ich mich, du hast es oft genug erzählt. Es gibt Menschen, die Dinge im Traum vorhersehen, die später tatsächlich passieren. Die Wissenschaft befasst sich sogar damit und …“
„Das weiß ich alles“, unterbrach Hollmann ihn. „Das Schlimme ist: Die Person, von der ich vorgestern Nacht geträumt habe, sitzt mir in diesem Moment gegenüber.“
Jetzt war Wagners Aufmerksamkeit geweckt. „Du hast von mir geträumt?“ Hollmann nickte. „Es war kein angenehmer Traum. Du hast auf deinem Bett gesessen, vor dir stand eine schwarzhaarige Frau, die eine Pistole an deinen Kopf gehalten hat. Bevor sie dich erschießen konnte, bin ich aufgewacht. Und jetzt spukt der Traum durch meinen Kopf und ich frage mich, handelt es sich um eine Warnung?“
Wagner spürte, wie sein Puls sich beschleunigte. „Es muss nichts zu bedeuten haben. Die Mordfälle beschäftigen uns und ungelöste Probleme werden nicht selten in Träumen verarbeitet.“
„Dein Wort in Gottes Ohr, mein Freund. Ich mache mir Sorgen um dich. Tu mir den Gefallen, setz dich noch heute in den Zug und fahr zu deinen Eltern. Ans Ende der Welt wird die Täterin dir nicht folgen.“
Wagner versuchte unbeteiligt zu sprechen, obwohl es in ihm brodelte, die Angst ließ sich nicht verleugnen. „Erstens ist Wilhelmshaven nicht das Ende der Welt, auch wenn du es ständig behauptest, und zweitens habe ich für morgen Vormittag eine Platzreservierung. Du glaubst doch nicht, dass ich den Angsthasen spiele und mich ohne Reservierung in den völlig überfüllten Zug setzte, um drei Stunden zu stehen?“
Hollmann gab sich redlich Mühe, seinen Freund vom Gegenteil zu überzeugen. Aber Wagner blieb stur. Wenn ich der Angst nachgebe, bin ich verloren, dachte er. Außerdem wollte er Ohrringe für Monika kaufen und danach seine Wohnung aufräumen. Wenn Monika zu Besuch kam, sollte es nicht wie auf einem Schlachtfeld aussehen.
Oder wusste sein Freund mehr, als er zuzugeben bereit war? „Was hat es eigentlich mit der brandheißen Sache auf sich, die du neulich erwähnt hast? Hat Baumgart denn nun mit den Mordfällen zu tun oder nicht?“, erkundigte er sich.
Sein Freund antwortete ausweichend. Er war immer noch am Ball, aber sein Informant war vorübergehend abhandengekommen. „Genau genommen sitzt er in Untersuchungshaft“, räumte er ein.
„Das scheint ja ein toller Informant zu sein. Ich glaube, du verrennst dich da in etwas, Max. Wäre ja nicht das erste Mal.“
„Dieses Mal nicht. Aber lenk nicht ab. Nimm meinen Rat an und verschwinde noch heute. Lieber drei Stunden im überfüllten Zug, als kaltgemacht zu werden.“
Um des lieben Friedens willen versprach Wagner, darüber nachzudenken. Als sein Freund gegangen war, kontrollierte er sein Handy. Fünf Anrufe aus seinem Büro, alle in der letzten Stunde. Die konnten ihn mal kreuzweise. Der Chef befand sich im Weihnachtsurlaub und auch er hatte Anspruch auf ein Privatleben.
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Ritter sah mitgenommen aus.
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