Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Heise auf antarktische Temperaturen gesunken. Ich kann mir gut vorstellen, dass es den einen oder anderen gibt, der ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hatte.“
Wagner verdrehte die Augen. „Es geht nicht um Scharmützel unter Kollegen, es geht um Mord.“
„Ja klar, was sonst. Ich habe auch nicht behauptet, dass es einer von uns war. Obwohl, ehrlich gesagt und ganz unter uns …“
„Ganz unter uns“ stand ganz oben in Meyers Wortschatz. Gemeint war das Gegenteil, je vertraulicher, desto schneller verbreiteten sich die Neuigkeiten. Der geschwätzige Kollege kalkulierte das ein. Auch jetzt schaute er Wagner erwartungsvoll an. Der tat ihm jedoch nicht den Gefallen und schwieg beharrlich. Meyer trat noch näher an ihn heran, sein Atem roch nach Pfefferminzschokolade. Eine neue Welle von Übelkeit erfasste Wagner. Er schluckte sie herunter.
„Britta König zum Beispiel, also die und Heise, die haben sich gehasst wie die Pest. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Sie sind aus demselben Holz geschnitzt – karrieregeil, skrupellos und nur auf sich selbst fixiert. Fast schon Autisten. Wussten Sie, dass Heise zuletzt versucht hat, die König in die allseits verhasste Schulbehörde abzuschieben?“
Natürlich hatte Wagner davon gehört, der Flurfunk der Staatskanzlei funktionierte tadellos. Und es gab viele Zuträger unter den Beamten. Sie wussten um Wagners Einfluss beim Ministerpräsidenten und wollten mit Informationen bei ihm punkten. Er nickte schwach. Wann ließ sich Staatssekretär Haders endlich blicken?
Meyer rückte so nahe an ihn heran, dass kein Blatt Papier mehr zwischen sie passte. Wagner presste sich an die Wand, die angenehm kühl war. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob das Gerücht stimmte und Meyer, obwohl verheirateter Familienvater, schwul war. „Gestern Nachmittag war es besonders heftig. Der Krach war über den ganzen Flur zu hören. Ich habe gedacht, gleich erschlagen sie sich. Und dann ist er tatsächlich tot und ich frage mich …“ Der Personalratsvorsitzende der Staatskanzlei, Regierungsrat Ballauf, erlöste Wagner. Er hatte dringend etwas mit Meyer zu besprechen. Tuschelnd entfernten sich die beiden. Wagner glaubte, den Namen Heise zu hören.
9
Endlich näherte sich gemessenen Schrittes Staatssekretär Haders. In seinem Schlepptau befand sich Jochen Niemann, Personalchef der Staatskanzlei und fast zwei Köpfe kürzer geraten. Das Gespann, der Lange und der Kurze genannt, stellte sich auf die oberste Stufe der Marmortreppe, die in die erste Etage führte. Niemann reichte seinem Vorgesetzten mit einer angedeuteten Verbeugung das schnurlose Mikrofon.
Der Staatssekretär schaute sich prüfend um. Die unabänderliche Kontrolle, ob auch alle Mitarbeiter seiner Einladung gefolgt waren. Wer fehlte, handelte sich Minuspunkten bei künftigen Beförderungen ein. Seine Stimme klang rau.
„Danke, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass Sie gekommen sind. Der Anlass, der uns heute zusammenführt, ist ein denkbar trauriger. Unser geschätzter Kollege und für viele von Ihnen Vorgesetzter Alexander Heise ist gestern Abend in seinem Haus erschossen worden. Der Ministerpräsident, der wegen dringender Finanzverhandlungen nach Berlin musste, ist tief betroffen. Ich möchte Sie nun alle um eine Schweigeminute im Gedenken an unseren geschätzten Mitarbeiter, Vorgesetzten und Kollegen bitten.“
In das Schweigen hinein war lautes Schluchzen vernehmbar. Gesine Terberg. Wagner wusste, dass ihre Trauer nur gespielt war. Die Blicke, mit denen sie ihren früheren Chef auf den wöchentlichen Konferenzen bedacht hatte, hatten eine andere Sprache gesprochen: Antipathie und unterdrückte Wut.
Die Schweigeminute kam Wagner endlos lange vor. In die Stille hinein grummelte sein Magen. Nie wieder Gans und nie wieder Rotwein, schwor er sich. Dann endlich strich der Staatssekretär über seine Krawatte. „Wir beenden die Schweigeminute für unseren geschätzten Kollegen.“ Seine Stimme hörte sich krächzend an. Seit Wagner in der Staatskanzlei arbeitete, gab es mit der Mikrofonanlage Probleme. Für eine neue Anlage fehlte das Geld. Die häufigen Umgestaltungen in der Chefetage verschlangen den Großteil des für Anschaffungen und Sanierungen vorgesehenen Etats der Staatskanzlei.
„Das LKA hat die Ermittlungen aufgenommen. Kriminalrätin Verena Hauser wird die Soko Heise leiten und auch in der Staatskanzlei Befragungen durchführen. Ich habe ihr zu diesem Zweck den Roten Salon zur Verfügung
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