Die Staatskanzlei - Kriminalroman
gestellt.“ Er zupfte sich am Kinn. „Was den Mord angeht, können wir im Moment nichts ausschließen. Politische Motive sind ebenso möglich wie private. Die Polizei steht ganz am Anfang und ermittelt in alle Richtungen.“
Wieder einmal nichts als Plattitüden. Der Mann war von der Partei hochgespült worden. Die Ostfriesen-Gang in der Bürgerpartei hatte das Vorschlagsrecht für den Leiter der Staatskanzlei gehabt und ausgerechnet den drögen Haders ins Spiel gebracht. Wagners Freund Hollmann hatte von der späten Rache der Friesen gesprochen. Seit den Zeiten der Germanen hatten diese wenig Bereitschaft gezeigt, fremde Regierungen zu akzeptieren. Und die Hannoveraner waren ihnen auch mehr als sechzig Jahre nach der Gründung des Bundeslandes fremd geblieben. Deshalb, so Hollmann, hätten sie die größte Pfeife, die das Land der Friesen zu bieten hätte, in die Landeshauptstadt entsandt.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Gespannt starrten mehr als hundertfünfzig Augenpaare auf den Staatssekretär. Haders räusperte sich, bevor er fortfuhr. „Wenn einer von Ihnen etwas weiß, das zur Aufklärung des Mordes beitragen könnte, kommen Sie zuerst zu mir und Herrn Niemann. Besser, Sie sprechen erst mit uns, bevor Sie mit der Polizei das Gespräch führen. Nur zu Ihrer eigenen Sicherheit. Sie alle sind im besonderen Maße dem Verschwiegenheitsgebot verpflichtet. Deshalb wünscht der Herr Ministerpräsident auch keine Gespräche mit der Presse. Zurückhaltung ist das Gebot der Stunde!“
Die erneute Pause sollte die Bedeutung seiner Worte unterstreichen. Einige tuschelten miteinander. Haders hatte noch immer nicht das Ende seiner Ansprache erreicht, was Wagner aus tiefstem Herzen bedauerte. „Herr Heise war an wichtigen politischen Entscheidungen beteiligt. Es ist nicht auszuschließen, dass es Ärger mit einem Bürger gegeben hat. Vielleicht ist da etwas völlig aus dem Ruder gelaufen.“
„Ärger mit Bürgern haben wir doch ständig“, brummelte Meyer halblaut.
Die Bemerkung sorgte trotz der angespannten Atmosphäre für verhaltenes Kichern. Haders, der nichts mitbekommen hatte, sprach noch eine ganze Weile, für Wagners Geschmack deutlich zu lang: über die großartige Arbeit Heises für das Land, über seinen unermüdlichen Einsatz zum Wohle der Bürger und die Lücke, die er hinterlassen würde. Während er redete, wurden die Gesichter der Beamten immer länger. Dass ausgerechnet der Stinkstiefel Heise posthum zur vorbildlichen Führungsfigur stilisiert wurde, empfanden viele als schlechten Witz.
Dann spannte Haders den Bogen vom Ermordeten zur Verantwortung jedes Einzelnen für das Gelingen des „großen Ganzen“, wobei offen blieb, was mit dem „großen Ganzen“ gemeint war. Wagner fragte sich, für wen Haders die Show abzog. Der Ministerpräsident konnte nicht zuhören, da er sich zur Stunde in Berlin heftige Auseinandersetzungen mit seinen Kollegen aus den süddeutschen Bundesländern lieferte. Medienvertreter waren auch nicht anwesend. Vermutlich konnte Haders nicht anders. Das seit Jahren kultivierte salbungsvolle Gehabe war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Würde er eines Tages auch so werden und nur noch Müll von sich geben? Eine grauenhafte Vorstellung.
Erneut hob Haders die Bedeutung der dienstlich gebotenen Verschwiegenheitspflicht der Beamten hervor. Was für die katholische Kirche das Zölibat und für die Taliban die Scharia war, war für Haders die lückenlose Einhaltung der Dienstvorschriften. Wobei es nicht die geringste Rolle spielte, ob Letztere irgendeinen Sinn machten.
Jetzt redete er davon, dass der Mord die Boulevardpresse auf den Plan rufen würde. Beim Wort Boulevardpresse verzog er angewidert sein Gesicht. Bis vor wenigen Wochen war das anders gewesen. Jahrelang hatte das führende Boulevardblatt, die
Deutschlandzeitung
, mit einer Auflage von 3 Millionen die unumstrittene Nummer 1, die Regierung mit positiven Kommentaren beglückt. Dann war der Chefredakteur geschasst worden. Der Nachfolger, ein gestandener Bayer, konnte die Niedersachsen, in seinen Augen eine eher unterentwickelte Spezies der Gattung Mensch, nicht leiden. Er ließ keine Gelegenheit aus, gegen sie und ihre Landesregierung zu sticheln.
„Kein Wort über interne Vorgänge darf nach außen dringen“, wiederholte Haders. „Und schon gar nichts über Konflikte, sofern es solche gegeben haben sollte.“
Das Gesülze tat Wagner fast körperlich weh. Dann kam der Staatssekretär endlich zum
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