Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Vermerke, Anfragen von Beamten aus anderen Ministerien. In der letzten Kabinettssitzung war es augenscheinlich hoch hergegangen. Die Frage, welcher Minister sich durchgesetzt hatte, interessierte ihre Fachbeamten und Heise hätte Auskunft geben können. Wenn er noch leben würde. Auch einige Einladungen waren eingegangen. Die Landtagsfraktion der Bürgerpartei lud den Abteilungsleiter zur Nikolausfeier ein. Der Großinvestor Baumgart wollte ihn als Ehrengast auf einem Wohltätigkeitskonzert, außerdem kündigte er eine Karte für die VIPLounge von Hannover 96 für das nächste Heimspiel an. Als Nächstes waren die noch nicht gelöschten Mails der letzten Woche dran. Neben mehreren Arbeitsaufträgen von Staatssekretär Haders und zwei Nachfragen wegen einer geplanten Presseinformation eines Kollegen namens Bernd Wagner handelte es sich um Berichte von Mitarbeitern. Einige informierten über Dienstgeschäfte in Berlin, andere über den Bearbeitungsstand von Ministervorlagen. Routine einer Regierungszentrale, nichts, was auf ein Mordmotiv schließen ließ.
Sie wunderte sich über den ruppigen Ton in Heises Mails an seine Mitarbeiter. Dagegen war der Ton im LKA ausgesucht höflich. Hatte Hirschmann nicht von der Elite der Beamtenschaft gesprochen? Wenn das die Gepflogenheiten der Elite in diesem Land waren, blieb sie mit Vergnügen Mitglied der Mittelschicht.
Besonders fielen ihr zwei Vermerke an Ministerialrätin König auf. Jeder Arbeitsrichter in diesem Land würde sie als Mobbing bewerten. Sie druckte die Schreiben aus. Sie war gespannt, was Frau König dazu zu sagen hatte. Als Letztes nahm sie sich die Festplatte vor: Redeentwürfe für den Ministerpräsidenten, Berichte zu politischen Themen und geplanten Auslandsreisen des Ministerpräsidenten, Stellungnahmen aus den Fachministerien und den Dependancen der Staatskanzlei in Brüssel und Berlin. Sie verzichtete darauf, die Unterlagen zu lesen, öffnete stattdessen Heises Privatordner. Ein Schreiben an die Beihilfestelle und Korrespondenz mit seiner Bank, sonst nichts. Offenbar war Heise dick im Aktiengeschäft. Stollmann würde jetzt eine seiner anklagenden Statements zum sozialen Ungleichgewicht und dem Auseinanderdriften von Dividendenzahlungen und Arbeitseinkommen in Deutschland vom Stapel lassen.
Geräusche aus dem Vorzimmer kündigten die Rückkehr der schönen Frau Stigler an. Verenas Magen meldete sich. Er brauchte dringend etwas zu essen, etwas Herzhaftes. Sie fuhr den Computer herunter und stopfte die Ausdrucke in ihre Handtasche, ihren treuen Wegbegleiter, die auch als Aktentasche durchgehen konnte.
Frau Stigler reagierte auf ihre Frage nach einem preiswerten Restaurant in der Nähe schnippisch. „Woher soll ich das wissen? Ich gehe immer in die Kantine ins Funkhaus. Aber die ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.“
Eine reizende Person, dachte Verena. Da passte der Topf zum Deckel. Heise war bestimmt fantastisch mit ihr ausgekommen. Im Hinausgehen sagte sie: „Kommen Sie in einer Stunde in den Roten Salon. Ich möchte mit Ihnen über Ihren Chef sprechen.“
Der hübsche Mund verzog sich. „Das geht nicht. In einer Stunde muss ich nach Hause. Mein Mann hat frei, wir wollen Weihnachtseinkäufe erledigen.“
„Schön für Ihren Mann, dass er frei hat, meine ich. Interessiert mich aber im Moment ganz und gar nicht. Die Ermittlungen gehen vor. Also Punkt drei im Roten Salon.“ Hoch erhobenen Hauptes verließ Verena das Büro.
16
Bernd Wagner war zwar der einzige Mitarbeiter der Staatskanzlei, dem der Ministerpräsident freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte, aber rein optisch passte er nicht in das Anforderungsprofil. Der Regierungschef hielt es wie Friedrich der Große und bevorzugte lang gewachsene Mitarbeiter. Seine handverlesen, ausgesuchten Bodyguards waren alle um einen Meter neunzig, auch Heise und Staatssekretär Haders erreichten das Gardemaß. Mit einem Meter fünfundsiebzig konnte Wagner nicht mithalten. Die zweite Ausnahme in der Führungsriege stellte der Personalchef dar. Jochen Niemann war noch kleiner als Wagner.
Seit dem Mord war Wagner hin und her gerissen. Sollte er mit Niemann sprechen oder besser nicht? Sollte er lieber gleich zum Ministerpräsidenten gehen und ihm reinen Wein einschenken? Die Reaktion war absehbar. Der Chef würde fuchsteufelswild werden. Andererseits war ein Zusammenhang zum Mord nicht von der Hand zu weisen. Dann wieder dachte er: Besser, ich behalte die Sache für mich. Schweigen hatte sich
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