Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Sämtliche Gesetzesvorlagen und wichtigen Vorhaben der Ministerien gingen über seinen Schreibtisch. Nichts erreichte mich und den Ministerpräsidenten, was er nicht zuvor geprüft und für gut befunden hatte.“
Es gefiel ihm, der Polizeibeamtin einen Nachhilfekurs im Politikmanagement zu geben. „Sie müssen sich das so vorstellen: Für jedes Ministerium des Landes, Wirtschaft, Kultus, Inneres, Soziales und Finanzen, gibt es in der Staatskanzlei sogenannte Spiegelreferate, die die Arbeit der Ministerien für den Ministerpräsidenten kontrollieren. Wir sagen übrigens koordinieren, das klingt weniger streng. Heise war der Chef dieser Referate. Wie Sie sich denken können, gibt es gelegentlich Streit zwischen den Ministerien, Umwelt und Wirtschaft zum Beispiel oder Familien und Finanzen. Die liegen ständig im Clinch, hängt mit der Aufgabenstellung zusammen. Es lag an Heise, einen Kompromiss herbeizuführen, notfalls zu erzwingen.“
Er stoppte, schaute sie nachdenklich an und korrigierte sich. „Ehrlich gesagt, ist Erzwingen die Normalität im politischen Geschäft. Die Fachministerien sind nicht scharf auf Kompromisse, jeder Minister will sich profilieren. Es gilt in der Öffentlichkeit zu punkten. Querelen sind vorprogrammiert. Letztlich lag es an Heise, dem Ministerpräsidenten einen Entscheidungsvorschlag zu unterbreiten.“
„Heise hatte also mehr Einfluss als die Minister selbst?“, wunderte Verena sich.
Haders zupfte an seinem Kinn und schüttelte bedächtig den Kopf. „Manchmal ja, manchmal nein. Nicht alle Entscheidungen der Ministerien landen im Kabinett, will sagen auf dem Schreibtisch des Ministerpräsidenten. Wenn es allerdings um Fragen von grundlegender Bedeutung oder um Konflikte zwischen den Ministerien geht, dann hat der Ministerpräsident das letzte Wort. Und davor in der Kette sind meine Wenigkeit und der Leiter der Politischen Abteilung, bis vor zwei Tagen Alexander Heise.“
Die Minister wurden demokratisch gewählt, die Beamten nicht. Trotzdem hatten sie in strittigen Fällen mehr politischen Einfluss. Verena fand das merkwürdig. Demokratiedefizite waren nicht ihr Thema. Ihr Job war ein anderer. Sie brachte einen neuen Gesichtspunkt ins Feld. „Der Innenminister hält es für möglich, dass der Mord von Islamisten begangen wurde, die Druck auf die Landesregierung ausüben wollen. Was sagen Sie dazu?“
Der Staatssekretär zögerte. „Ich weiß nicht recht. Klar, als großes Flächenland spielt Niedersachsen im Bundesrat eine wichtige Rolle. Aber letztlich sind wir eines von sechzehn Bundesländern. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen.“
Verena nahm nun doch einen Keks. Er schmeckte wirklich köstlich. Haders freute sich über das Lob, als ob er sie eigenhändig gebacken hätte. Er strahlte übers ganze Gesicht.
„Wenn Herr Heise so viel Einfluss hatte, wie Sie sagen, hatte er vermutlich Feinde. Viel Ehr, viel Feind. Können Sie sich vorstellen, dass einer darunter war, der zu einem Mord fähig ist?“
Das Strahlen verschwand. Er musterte sie skeptisch. Erneutes Zupfen am Kinn. „Auseinandersetzungen in der Sache gehören zum politischen Alltag in einer Demokratie, deshalb wird man nicht gleich zum Feind.“
„Vielleicht nicht unter Kollegen. Wie sieht es mit Außenstehenden aus, Verbandsvertreter, Unternehmer, Lobbyisten? Haben nicht erst kürzlich wütende Bauern kübelweise Milch vor der Staatskanzlei ausgeschüttet?“
Haders tippte mit dem Zeigefinger an seine Stirn. „Mein Gott, die Milchbauern. Ein schwieriges Völkchen. Die gehen doch immer gleich auf die Barrikaden. Blödsinnige Aktion. Besser wäre es gewesen, sie hätten sich mit ihren Treckern auf den Weg nach Brüssel gemacht und die Milch vor dem Kommissionsgebäude ausgeschüttet. Die EU setzt die Milchquoten fest, nicht das Land. Trotzdem, die Bauern mögen dämlich sein, aber Mord, nie und nimmer. Das halte ich für ausgeschlossen.“
Verena blieb hartnäckig. „Sie haben also keine Idee, wer Ihren engsten Mitarbeiter erschossen haben könnte?“
„Nein, habe ich nicht. Politische Motive sind natürlich möglich, Terrorgruppen zum Beispiel. Wir setzen darauf, dass Sie das bald herausfinden. Der Ministerpräsident möchte nicht, dass der Mord ein Dauerbrenner wird. Das wäre dem Ansehen der Landesregierung abträglich.“
So weit war es mit dem Ansehen nicht her, lästerte Verena im Stillen. Die Umfragen kannten seit Wochen nur noch eine Richtung: steil nach unten. Sie stellte die leer getrunkene
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