Die Staatskanzlei - Kriminalroman
häuslicher Pflege, konnte nicht mehr lange vertagt werden.
33
H ANNOVER
Verenas Wunsch, endlich einmal auszuschlafen, erfüllte sich auch am Sonntag nicht. Bereits um fünf Uhr wachte sie auf und sofort gingen ihr die vielen noch immer ungeklärten Fragen durch den Kopf: das befremdliche Verhalten der kühlen Ministerialrätin, die merkwürdigen Bargeldeinzahlungen auf Heises Konto, die nebulöse Rolle Baumgarts. Selbst Stolli hatte ihr ihre Zweifel nicht nehmen können.
Sie entschloss sich zu einem Kirchenbesuch. Ab und zu brauchte sie das. Sie machte kein Aufhebens davon, im Büro sprach sie nie darüber, nicht mal zu Stolli. Es war ihre Privatsache.
Nach der Messe ging sie im Tiergarten spazieren. Die frische Luft war wohltuend. Am Wildschweingatter blieb sie stehen, beobachtete zwei kleine Mädchen, die Brotstücke durch das Gatter warfen, die die Tiere allerdings achtlos liegen ließen.
Nachmittags war sie bei Dagmar zum Adventskaffee eingeladen. Schon beim Eintreffen war die angespannte Atmosphäre zu spüren. Um die Ehe ihrer Freundin stand es nicht zum Besten. Dagmars Mann gab sich wortkarg, gratulierte ihr schlecht gelaunt zum Ermittlungserfolg im Mordfall Heise. Die Radiosender berichteten im Stundentakt, dass der Ministerialbeamte Opfer einer Beziehungstat geworden war. In Windeseile stopfte Dagmars Mann ein Stück Baumkuchen in sich hinein, das er mit einer Tasse Tee herunterspülte, bevor er grummelnd verschwand. Wohin es ihn zog, ließ er offen. Die beiden Söhne waren beim Fußballtraining. So hatten die beiden Frauen den Nachmittag für sich allein. Verena hätte ihrer Freundin gerne von ihrer zufälligen Begegnung mit Franz erzählt. Sie kam nicht dazu, Dagmar war bis oben voll mit Ehefrust, den sie loswerden musste. Verena erwies sich als geduldige Zuhörerin. Dann kamen die Söhne zurück. Sie hatten Hunger und verlangten nach dem Abendessen. Auch ihr noch immer schlecht gelaunter Mann ließ sich wieder blicken. Vielleicht ist das Singledasein doch nicht das Schlechteste, dachte Verena, als sie in ihre Wohnung fuhr. Bei Glühwein mit Weihnachtskeksen und dem Weihnachts-Oratorium machte sie es sich auf dem Sofa gemütlich. Für einen Abend gelang es ihr sogar, den Mordfall zu vergessen.
Am Montagmorgen lief ihr Kriminaldirektor Hirschmann über den Weg. Er war für die frühe Zeit ungewöhnlich gut gelaunt und gratulierte ihr überschwänglich, dass der Mordfall aufgeklärt war und die Täterin hinter Schloss und Riegel saß. Die Suche nach Mehmed werde er dennoch weiter verfolgen. Man wisse nie, was Terroristen im Schilde führten, verriet er Verena.
Um halb neun rief sie in Baumgarts Büro an. Auch wenn er mit dem Mord nichts zu tun hatte, ließ die Polizistin in ihr nicht zu, den Korruptionsverdacht im Sande verlaufen zu lassen. Sein Vorzimmer weigerte sich, sie durchzustellen. Er sei in einer dringenden Sitzung, man versprach, zurückzurufen. Eine Stunde später meldete sich ein bundesweit bekannter Staranwalt aus Berlin bei Verena. Mit schnarrender Stimme erkundigte er sich, worum es ginge und weshalb sie ihre Fragen nicht schriftlich stellte. Herr Baumgart sei ein viel beschäftigter Mann.
„Ich leite die Ermittlungen im Mordfall Alexander Heise. Es geht um den Verdacht von Korruption. Ihr Mandant soll die Geburtstagsfeier von Herrn Heise bezahlt haben. Ich möchte gerne von Ihrem Mandanten persönlich hören, was er dazu zu sagen hat.“
„Was soll das? Der Mord ist aufgeklärt. Oder sind die Presseverlautbarungen falsch?“
„Natürlich nicht. Dennoch würde ich gerne wissen, was es mit der Geburtstagsfeier auf sich hat. Ich möchte im Gerichtssaal keine Überraschungen erleben.“
Der Anwalt gab sich kühl und von oben herab. „Es muss sich um ein Missverständnis handeln. Ich werde mit Herrn Baumgart darüber sprechen. Sie hören wieder von uns.“
Ehe Verena noch etwas sagen konnte, wurde am anderen Ende aufgelegt. „Arroganter Blödmann“, brummelte sie vor sich hin und machte sich wieder an die Endfassung des Abschlussberichts. Es gab zu viele Ungereimtheiten. Die Tatwaffe war immer noch nicht gefunden, ein Geständnis gab es auch nicht. Zu allem Überfluss war der renommierte Strafverteidiger Janssen als Frau Heises Anwalt auf der Bildfläche erschienen. Ausgerechnet Janssen, der Schrecken jedes Staatsanwalts und Ermittlungsbeamten. So wie es momentan aussah, würde sich die Anklage im Wesentlichen auf Indizien stützen müssen. Der Anwalt würde sich mit Wonne auf
Weitere Kostenlose Bücher