Die Staatskanzlei - Kriminalroman
teilten seine optimistische Einschätzung.
Verena selbst war weniger euphorisch. Trotz der DNA-Spuren und der Indizien, die gegen die Frau sprachen, fiel es ihr schwer, sie sich als Mörderin vorzustellen. Mit ihren Zweifeln war sie allein. Selbst der umgehend informierte Staatsanwalt Engelbrecht, als übervorsichtig bekannt, gab sich überzeugt, dass die Mörderin überführt war. Die Maschinerie wurde in Gang gesetzt, Haftbefehl, Durchsuchung der Wohnung und Festnahme der Verdächtigten. Frau Heise leistete keinen Widerstand. Sie gab sich teilnahmslos, als ob sie das alles nichts anging. Verena vermutete die Wunderpillen als Ursache für ihr ungewöhnliches Verhalten.
Als sie gegen Mitternacht nach Hause kam, ließ der Fall ihr trotz des Ermittlungserfolges keine Ruhe. Erst in den frühen Morgenstunden fand sie Schlaf, wachte jedoch bald wieder auf. Obwohl Samstag war, fuhr sie ins Büro und setzte sich an den Abschlussbericht. Am späten Vormittag war er bis auf Kleinigkeiten fertig.
Gegen Mittag fuhr sie zum Klagesmarkt. Auf dem ältesten Wochenmarkt der Landeshauptstadt hatten vor langer Zeit öffentliche Hinrichtungen stattgefunden. Jetzt bot sich ein buntes Bild mit dekorativen Obst- und Gemüseständen, dazwischen Stände mit Blumen und Produkten vom Land. Ihr Gemüsehändler, ein gebürtiger Türke, hatte von der Festnahme im Mordfall Heise gehört. Sein Mitteilungsbedürfnis war noch ausgeprägter als sonst. In Deutschland würden Mörder zu lasch behandelt und überhaupt seien Gefängnisstrafen nicht wirklich abschreckend, verkündete er. In seiner Heimat sei das anders. Im Nu bildete sich eine Menschentraube am Stand. Jeder hatte etwas beizutragen. Egal, ob Deutsche, Türken oder Polen, in einem waren sich alle einig: Mörder gehörten weggesperrt. Verena drängte aufs Bezahlen, sie wollte noch nach Osnabrück zu ihrer Mutter. Der Besuch war überfällig.
Auf der Autobahn kam sie gut voran und nach zweitstündiger Fahrt erreichte sie die in Nähe des Doms St. Peter gelegene elterliche Wohnung. Seit dem Tod des Vaters lebte ihre Mutter allein hier. Beim Anblick ihrer Tochter vergoss die alte Frau vor Freude ein paar Tränen, was Verenas schlechtes Gewissen steigerte. Das Gefühl, nicht genügend für ihre Mutter zu tun, nagte schon lange an ihr. Doch was konnte sie tun? Es gab kaum Möglichkeiten, den Krankheitsverlauf aufzuhalten. Und für regelmäßige Fahrten nach Osnabrück fehlte ihr einfach die Zeit.
„Gegen Demenz ist kein Kraut gewachsen. Das Hirn entwickelt sich unaufhaltsam zurück und wir können dagegen wenig ausrichten.“ Die Worte der Ärztin hatten Panik bei Verena ausgelöst. Die Unterbringung in einem auf Demenzkranke spezialisierten Seniorenstift wurde angeraten. Verena scheute sich davor, den entscheidenden Schritt zu tun. Noch überwogen die klaren Momente bei ihrer Mutter.
Ihre Mutter zu sich nach Hannover zu holen, war keine Lösung. Verena würde ihre Arbeit aufgeben müssen, ein finanziell nicht verkraftbares Unterfangen. Sie wollte es auch aus anderen Gründen nicht. Ihr Job als Kriminalrätin verschaffte ihrem Leben Struktur und Bedeutung. Ohne ihren Beruf hätte sie die privaten Rückschläge der vergangenen Jahre nicht weggesteckt. Vermutlich hätte sie, die für ihr Leben gerne Rotwein trank, ohne ihren Beruf zu trinken begonnen und würde jetzt das armselige Leben einer alkoholkranken Hartz-IV-Empfängerin führen.
Anders als bei ihrem letzten Besuch, war ihre Mutter dieses Mal nicht verwirrt, sie erkundigte sich sogar nach ihrer Arbeit. Das hatte sie schon lange nicht mehr getan. Verena berichtete in knappen Worten über den Mordfall, der einen erfolgreichen Abschluss gefunden hatte. Dann wurde zu Abend gegessen, es gab belegte Brote mit Leberwurst und Käse. Noch während des Essens wurde ihre Mutter plötzlich müde, ihre Augen fielen zu und sie schlief am Tisch ein. Verena weckte sie und half ihr beim Ausziehen. Der dünne, faltige Körper, die mit Altersflecken übersäte Haut ihrer Mutter lösten Bestürzung bei ihr aus. Sie verspürte Mitleid mit der alten Frau, deren Leben in die letzte Phase eingetreten war. Der Tag, an dem sie Abschied von ihrer Mutter nehmen musste, rückte näher. Nachdem ihre Mutter im Bett lag, schlief sie sofort ein und Verena machte sich auf den Heimweg. Auf der Rückfahrt zerbrach sie sich den Kopf, wie es weitergehen sollte. Die Entscheidung, wo ihre Mutter künftig leben sollte, ob in einem Pflegeheim oder unterstützt von
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