Die Staatskanzlei - Kriminalroman
glauben also nicht daran, dass mit den Morden Ihr Chef getroffen werden sollte?“, vergewisserte sich Verena.
„Ich bin nicht das Orakel von Delphi. Hass und Zorn sind weit verbreitet, wie ich finde, mit steigender Tendenz. Da hat sich in den letzten Jahren eine Menge an Frust und Wut bei vielen Bürgern dieses Landes aufgestaut. Aber Ihnen muss ich das nicht sagen.“
„Wir haben gelegentlich mit den Auswirkungen zu tun. Vor allem die unteren Dienstgrade, die sich allzu oft als Blitzableiter verfehlter Politik fühlen. 16 000 Polizeibeamte sind nächste Woche im Einsatz, wenn der Atommüll nach Gorleben rollt, die verantwortlichen Politiker selbst machen sich rar.“ Stollmann hatte die Sprache wieder gefunden. Die Chance zu abfälligen Bemerkungen über Politiker wollte er sich nicht entgehen lassen.
„Und, fällt Ihnen jemand ein, ein abgewiesener Bürger oder ein frustrierter Mitarbeiter?“, hakte Verena nach.
Wagner runzelte erneut die Stirn. „Nee, tut mir leid, Frau Hauser. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Frustrierte Mitarbeiter gibt es natürlich auch in der Staatskanzlei. Wie überall. Aber Mörder? Nein wirklich, das traue ich keinem von den Kollegen zu. Arbeitsverweigerung, Dienst nach Vorschrift, will sagen Untätigkeit und häufige Fehlzeiten, da sage ich Ja. Aber Mord, ein entschiedenes Nein.“
Verena unterdrückte ein Gähnen. Sie traten auf der Stelle, kamen einfach nicht weiter. Sie gab sich einen Ruck und reichte ihm ihre Visitenkarte. „Nun dann, Herr Wagner. Wenn Ihnen noch was einfällt, rufen Sie mich an. Jederzeit.“
Der erhob sich, er schien erleichtert zu sein. Im Türrahmen blieb er plötzlich stehen, drehte sich zu ihr um. Wollte er ihr noch etwas sagen? In diesem Moment klingelte sein Handy, er nahm den Anruf entgegen und schloss die Tür hinter sich.
41
Der Personalratsvorsitzende Ballauf fischte nach einem Taschentuch und wischte sich über die verdächtig feuchten Augen. „Wir waren nicht immer einer Meinung. Das bleibt nicht aus, wenn man auf verschiedenen Seiten steht, er oben, ich unten. Das hat er mich aber nie spüren lassen. Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, in dem wir keinen Kompromiss gefunden haben. Einen besseren Personalchef als Niemann kann man sich nicht wünschen. Und jetzt ist er tot. Obwohl ich gläubiger Christ bin, frage ich mich, was das mit Gerechtigkeit zu tun hat. Warum muss einer wie Niemann mit noch nicht einmal fünfzig Jahren abtreten? Das ist einfach nicht gerecht!“
Unheilvolles Schweigen hing über dem Roten Salon.
„Ich hoffe, dass Sie das Schwein bald fassen. Wenn Sie ihn haben, sagen Sie mir Bescheid. Ich möchte ihm einen Besuch abstatten, ihm gehörig eins auf die Nuss geben. Das ist das Mindeste, was ich Niemann schulde. Ich werde dem Kerl seine gottverdammte Visage polieren und …“
Der Mann redete sich um Kopf und Kragen. Stollmann zwinkerte ihr zu. „Herr Ballauf, achten Sie auf Ihre Worte. Sie sprechen mit der Polizei“, stoppte ihn Verena.
„Wo er recht hat, hat er recht. Personalchefs, die sich für Mitarbeiter einsetzen, sind bei uns eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Man sollte sie unter das Artenschutzabkommen stellen“, pflichtete Stollmann ihm bei.
Ballauf schaute überrascht hoch. Zum ersten Mal schien er die Polizeibeamten als Menschen aus Fleisch und Blut wahrzunehmen. Bevor ihr Kollege noch eins draufsetzen konnte, ergriff Verena das Wort. Jetzt bloß kein Lamentieren über die Zustände auf dem deutschen Arbeitsmarkt, über Lohndumping und Niedriglöhne.
„Einen Feind muss er gehabt haben“, stellte sie fest. Die beiden Männer blickten sich an. Ein Blick, der heimliches Verständnis signalisierte. Verena fühlte sich ausgeschlossen. „Wieso überrascht Sie meine Feststellung, Herr Ballauf? Es wäre hilfreich, wenn wir über Fakten nicht diskutieren. Also?“ Er zuckte unter ihrem eisigen Blick zusammen. Sie hatte jahrelang geübt, bis sie den draufhatte.
„Es kann auch ein Geistesgestörter gewesen sein, sogar die Presse schreibt von einem Beamtenkiller“, begründete der Personalratsvorsitzende seine Zweifel.
„KANN, Herr Ballauf, muss aber nicht. Was ist mit Frau Ministerialrätin König, die konnte doch nicht mit Herrn Niemann?“, fasste Verena nach.
„Ab morgen Ministerialdirigentin, Blitzbeförderung von B 2 nach B 6. Bei den oberen Chargen geht das immer rucki zucki. Da spielen ein oder zwei Tausender mehr im Monat keine Rolle. Aber wehe, Sie wollen eine
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