Die Staatskanzlei - Kriminalroman
ist das für eine Scheiße bei euch!“, fauchte Milner ins Telefon. „Zwei Morde in zehn Tagen in der Regierungszentrale. Das hat es in meiner Heimat selbst in Zeiten nicht gegeben, in denen wir von einem Alkoholiker regiert wurden.“
„Wir können uns keinen Reim darauf machen. Die Regierung nicht, die Partei nicht, die Polizei nicht. Es gibt natürlich Gerüchte. Vielleicht stecken die Talufisten dahinter.“
„Wer?“ Ein Gast, der in diesem Moment das Café verließ, drehte sich zu ihm um. Ein indignierter Blick in seine Richtung folgte. Milner war ungebührlich laut geworden.
„Die Talufisten.“
Beknackte Deutsche, dachte Milner und verfiel wieder in Flüsterton. „Nie gehört. Eine neue Mafiaorganisation?“
„Das Gegenteil, streng religiös. In Braunschweig gibt es eine Enklave. Ihr Ziel ist eine Gesellschaft, die nach den Gesetzen der Scharia lebt. Ein gottgefälliges Leben, Frauen verschleiert und harte Strafen: Hand abhacken, Auspeitschungen, das ganze Programm.“
Milner wurde sarkastisch. „Und das sieht auch die Ermordung von Beamten im Regierungsapparat vor?“
„Öffentlich schwören sie der Gewalt ab, aber wer weiß.“
„Warum sollten sie zwei Beamte einer deutschen Regierungszentrale umlegen? Ihnen geht es gut in Deutschland, sie können sich frei entfalten. Die wären doch bescheuert, wenn sie das aufs Spiel setzten.“
Als keine Antwort kam, verdrehte Milner die Augen. Der Schlawiner schien tatsächlich keine Ahnung zu haben. „Halt mich auf dem Laufenden, ich muss wissen, was da abgeht“, knurrte er. „Und was unser Projekt angeht, das sollten wir erst einmal auf Eis legen und abwarten, bis die Morde aufgeklärt sind.“
Baumgart war anderer Meinung. „Warum? Gerade jetzt sind wir an einem interessanten Objekt in der Nähe von Bad Pyrmont dran. Ein Tipp aus der Politik. Wir stehen bereits in Verkaufsverhandlungen.“
„Meinetwegen, bleib am Ball. Aber seid vorsichtig. Ich will keinen Ärger, nicht jetzt, wo bei euch alle nasenlang Beamte umgenietet werden.“
Baumgart hielt es für unter seine Würde, darauf zu antworten. Manchmal behandelte der Russe ihn wie einen dummen Jungen. Er beendete das Telefonat und verwünschte im Stillen den Mauerfall, der plumpe Verbrecher wie diesen Milner zu Milliardären gemacht hatte.
39
H ANNOVER
Das Medienspektakel war riesig. Ein weiterer Spitzenbeamter der niedersächsischen Landesregierung erschossen, die Exfrau des ersten Opfers fälschlich festgenommen und der Täter noch immer auf freiem Fuß. Fast alle überregionalen deutschen Radio- und Fernsehsender schickten Kamerateams in die niedersächsische Landeshauptstadt.
Das Niedersachsenfernsehen strahlte nach der Tagesschau einen Brennpunkt aus. Ein offensichtlich nicht mehr nüchterner Innenminister erklärte mit hochrotem Kopf, dass die Ermittlungen auf Hochtouren liefen. Ein Feature über Niemann folgte. Ein enger Vertrauter des Ministerpräsidenten sei er gewesen, von Kollegen und Vorgesetzten gleichermaßen geschätzt. Nachbarn und Freunde kamen zu Wort, alle äußerten sich lobend. Auf sein hilfsbereites, freundliches Wesen, sein soziales Engagement und sein ausgeprägtes Verständnis für die Belange der sogenannten kleinen Leute wurde hingewiesen. Dazu flimmerten Bilder mit Irene Heise über die Bildschirme, wie sie in Begleitung ihres Anwalts das Untersuchungsgefängnis verließ. Strafverteidiger Janssen ließ sich in scharfen Worten über die Inkompetenz von Polizei und Staatsanwaltschaft aus, die „in diesem Land zu höchster Besorgnis Anlass gebe“.
Auch das LKA kam nicht gut weg. Von grob nachlässigen Ermittlungen war die Rede. Mutmaßungen über Mordmotive folgten. Der Bogen wurde einmal mehr weit gespannt, von islamistischen Terrorgruppen, die Angst und Schrecken in Deutschland verbreiten wollten, über einen Psychopathen, der Beamte hasst, bis hin zur Mafia. Selbst ernannte Mafiaexperten malten ein Bild in düsteren Farben. Wollte man den Experten glauben, entwickelte sich das biedere Niedersachsen zu einer Hochburg krimineller Mafiaorganisationen.
Auch Psychotherapeuten kamen zu Wort. Der Begriff vom „Beamtenkiller“ wurde geboren.
Niedersächsische Politiker aus allen Parteien nutzten die Gelegenheit, sich ins Rampenlicht zu stellen. Hinterbänkler stürzten sich auf jede Kamera, die sich ihnen in den Weg stellte.
Unter diesen Gegebenheiten wunderte es niemand, dass Direktor Ritter höchstpersönlich an der ersten Lagebesprechung der Soko Heise
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