Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
nichts.
Er wolle ein Grundlicht.
Nicht zu viel.
Denn der Nachteil eines jeden Grundlichtes sei, dass wieder jeder jeden sehe und dann niemand mehr wisse, um wen es eigentlich gehe.
Er forderte einen Spot auf ihn.
Als unser Hausmeister diesen montiert hatte, betrachtete uns der Proband mit einer Mischung aus Süffisanz und Konzentration, dass uns zum ersten Mal erhebliche Zweifel darüber befielen, wer hier der Proband und wer der Analytiker sei.
Wolfie
Sitzungsprotokoll 7
Unsere spezielle Therapie schien gegriffen zu haben.
Der Schutz der Dunkelheit und die assoziative Interaktion lösten Aribert S. Schritt für Schritt aus seinem Werteschock, den seine für ihn immer noch nicht nachvollziehbare Festnahme ausgelöst hatte.
Von Sitzung zu Sitzung verbesserte sich der Zustand von Aribert S.
Er wurde immer offener, fand zu sich selbst zurück und eröffnete uns dadurch die notwendigen Einblicke in seine Psyche und sein Bewusstsein.
Sehr früh schon begann er, auch außerhalb der Sitzungen die Kontakte zur Ärzteschaft und dem Personal zu suchen.
Ein Umstand, der uns zugegebenerweise mit Berufsstolz erfüllte, da diese assoziative Dunkelheitstheorie uns mit Sicherheit einige Titelblätter bei Fachzeitschriften sowie Einladungen zu Talkshows und auf Symposien verschaffen würde.
Wie es uns gelungen war, die Nacht zum Tag zu machen, die Angst zur Erkenntnis, die Assoziation zur Wahrheit, das würden wir berichten.
» Das Aribert S. Syndrom « nach Dr. Dr. Schlupf.
Doch die Zweifel, die in der letzten Sitzung entstanden waren, ließen sich nicht mehr zerstreuen.
Bei der letzten Sitzung erschien Aribert S. mit einer fast strahlenden Aura in vollem Licht und nun endlich auch in Begleitung von » Wolfie « , wie er liebevoll seinen kleinen privaten Aktenvernichter nannte.
Sein Kamerad, sein » CC 614 L « , der ein wunderbares Gebiss habe, sechs Blatt à 70 g hintereinander bei 3,5 Metern in der Minute schaffe, und das bei 16 Liter Korbinhalt.
Er führte ihn uns regelrecht vor, als sei er ein Werbevertreter.
Er gab ihm Bankauszüge.
Die möge er besonders gerne, sagte er, etwas Leichtes, eine Diät nach dieser Fresserei mit den Missbrauchsopferakten.
Die sei hart gewesen.
Jeden Tag diese nackten Ministranten.
Das möge er nicht, der Wolfie.
Das physisch Perverse möge er nicht.
Er liebe mehr das Abstrakte.
Eine kleine geheime Preisabsprache zwischen Lidl und Aldi.
Oder eine gekonnte Sterbezifferkorrektur in der Altenpflege.
Dabei fütterte er » Wolfie « immer wieder mit den Kontoauszügen und geriet jedes Mal in Verzückung, wenn dieser das Papier mit einem leicht metallisch singenden Ton verschlang.
Rhythmus sei das, Klang, Struktur.
Entstehen, Vergehen.
Alpha und Omega.
Was er auch ganz gern möge, sagte er dann, sei das Skurrile.
Doppel- und Mehrfachstaatsbürgerschaften.
Oder wenn zum Beispiel ein thailändischer Hund in einem niederbayerischen Delikatessengeschäft als andalusisches Zwergziegenragout an Münchner Gourmets verkauft wird.
Plötzlich begann er, zu dem Ton des Aktenvernichters mitzusingen, eine zweite Stimme, wie er erklärte, aus dem Gefühl der Begeisterung heraus.
Es sei einfach ein überwältigend schöner Beruf.
Fahrer bei der Firma Reißwolf.
Das sei kein Job, man sei kein Telefondepperl in einem Callcenter oder ein Pappendeckelkoch bei McDonald’s.
Man sei Vollstrecker, eine Art Minister.
Dabei fütterte er » Wolfie « weiter mit Bankauszügen und redete mit ihm wie mit einem liebgewonnenen Kumpan.
Gell Wolfie!
Und wennma sein Beruf ernst nimmt.
Dann nimmtmase a moi wos mid hoam.
Heimarbeit!
Gell Wolfie, quod non est in actis, non est in mundo.
Und wenn man bedenkt, dass jeder Mensch nur Mensch ist,
weils a Akte über ihn gibt,
dann sind wir zwei auch ein kleines Vernichtungslager.
In dem schon beschriebenen Rechtfertigungsreflex schwächte er natürlich auch diese Härte ab und betonte, dass sie beide manchmal auch ein Herz hätten und eine Akte leben ließen.
Wie zum Beispiel den geheimen Vaterschaftstest von der Frau Angermüller.
Des ham mia scho immer gsagt, Wolfie.
Was ham mia scho immer gsagt:
Der Bub schaut ihm gar nicht ähnlich, dem Herrn Angermüller.
Jetzt schaun wir mal, was die Frau Angermüller für uns tun kann.
Sofort wies er natürlich den Verdacht der Erpressung weit von sich.
Er empfinde dies sogar als ein äußerst hässliches Wort.
Uns traf ein fast bemitleidender Blick.
Und keine Aussage von Aribert S. umreißt sein
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