Die Stadt am Ende der Zeit
bilden können. Einsame Überbleibsel besserer Zeiten, in denen Pflegerinnen sie auf Schütteltüchern ausgebreitet hatten, um dem Nachwuchs beim Lernspiel das Alphabet beizubringen.
Die drei Jugendlichen begannen sich bereits zu langweilen, also vergnügten sie sich mit Ringkämpfen. Danach schüttelten sie die Handgelenke aus und rannten einen Gang entlang, angeblich, um sich im Lockern von Büchern zu üben, obwohl auf diesem Stockwerk keine Regale und erst recht keine Buchrücken auszumachen waren. »Lauft nicht so weit weg!«, rief Khren ihnen hinterher. Ihm war nur allzu bewusst, wie kurz die Aufmerksamkeitsspanne in diesem Alter sein konnte. »Sie ist spät dran«, sagte er mit leiser, nervöser Stimme zu Jebrassy. »Es heißt zwar, dass Überfälle sich niemals am selben Ort wiederholen … Aber ich bin mir da nicht so sicher.«
Die beiden Freunde teilten sich einen kleinen Brocken Trockenhanf und kauten nachdenklich auf den Fasern herum, bis die Stille schier unerträglich wurde. Vom Toben und kreischenden Lachen ihrer drei Gefährten war nichts mehr zu hören. Auch die Buchstabenkäfer waren verschwunden.
»Sie laufen zu weit weg«, sagte Khren schließlich. Da er keine Lust hatte, wie Jebrassy nahe dem Treppenhaus hin und her zu tigern, kauerte er sich nieder. »Ich sollte sie suchen gehen.« Allerdings machte er keine Anstalten, wieder aufzustehen. Khren sann lieber über Dinge nach, als sie tatsächlich in Angriff zu nehmen, selbst wenn er ein ungutes Gefühl hatte.
»Geht schon klar«, erwiderte Jebrassy. »Ein Ruf, und sie sind wieder hier. Geduld.«
»Wie zuverlässig ist deine Flamme denn?«, fragte Khren.
Gerade wollte Jebrassy ihm antworten, da hörten sie das Echo leichter Schritte. Tiadba tauchte auf und trat schnell durch die Absperrung. Sie trug dieselben Hosen und dasselbe in der Taille gegürtete Hemd wie beim Ausflug zu den Diurnen. Sie wirkte erschöpft. »Tut mir leid, dass ich so spät komme. Graue Wächter. Ich musste außen um das erste Stockwerk herumgehen, um sie abzuschütteln. Wie kommen die überhaupt auf die Idee, dass irgendjemand nach oben will?!« Sie bedachte Khren mit einem vorwurfsvollen Blick.
»Ich hab niemandem was erzählt!« Gekränkt ließ er zwei Finger kreisen.
»Natürlich nicht . – Hast du Helfer auftreiben können?«
»Khren hat drei besorgt«, warf Jebrassy ein. »Sind zwar noch Grünschnäbel, aber aufgeweckt. Haben sich schon auf die Jagd gemacht.«
Immer noch beleidigt, sah Khren zu Jebrassy hinüber und erklärte, er werde die drei holen.
»Er ist eine ehrliche Haut«, bemerkte Jebrassy, als Khren außer Hörweite war. »Anführer müssen aufpassen, was sie sagen.«
Tiadba schnaubte verächtlich. »Grayne hat mir verraten, dass die besten Chancen oberhalb des fünfzigsten Stocks bestehen.
Diese Stockwerke sind schon seit Hunderten von Generationen nicht mehr bewohnt. Aus irgendeinem Grund trägt das zur Lockerung der Buchrücken bei, behauptet sie. Sie sagt …«
»Woher weiß sie so viel?«, unterbrach Jebrassy sie. »Mit wem redet sie darüber? Mit den Hochgewachsenen?«
»Mit Leuten unserer Art . Schon seit sehr langer Zeit ist sie eine Sama. Aus allen Ebenen kommen Nachgezüchtete zum Markt, um sich von ihr beraten zu lassen. Wenn wir überhaupt eine echte Lehrerin haben, dann ist es Grayne. Aber eigentlich wollte ich dir erzählen, dass …«
Ein Gepolter, das durch den langen Gang hallte, kündigte die Rückkehr von Khren und den drei anderen an. Als Tiadba sich mit ihnen bekanntmachte, mäßigte sie den scharfen Ton, den sie Khren gegenüber angeschlagen hatte. Die Grünschnäbel verhielten sich in der Gegenwart eines weiblichen Wesens jedoch keineswegs befangen; eher führten sie sich noch lauter und angeberischer als vorher auf (sofern das überhaupt möglich war). Sie sahen so aus, als könnten sie jeden Augenblick vor Energie explodieren. Nur Nico schien willens, eine gewisse philosophische Würde zu bewahren.
»Kommt, wir rennen um die Wette. Der fünfzigste Stock – das ist ganz weit oben«, rief Shewel, während er bereits die Wendeltreppe hinauflief. Das Echo seiner Stimme hallte durch den Gang. »Wir könnten aufs Dach hinausklettern!« Die anderen folgten ihm auf den Fersen, nur Mash zuckelte ein wenig kleinlaut hinterher.
»Wozu brauchen wir überhaupt Bücher?«, fragte er. »Selbst wenn sie echt sind, würden sie uns nur was über die Zeiten verraten, ehe es die Nachgezüchteten gab. Wen interessiert das schon?«
»Es
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