Die Stadt am Ende der Zeit
rastete irgendetwas geräuschvoll ein – und Jack konnte sich wieder bewegen .
Ehe Glaucous mit seinen unförmigen Händen nach ihm greifen konnte, löste Jack sich aus der Melasse und dem Horror-Trip und setzte über Hunderte, Tausende von Schicksalsfäden hinweg, ganze Bündel von Schicksalsfäden. Es war die größte Leistung, die er je vollbracht hatte, weitaus größer als das, was
er in Ellens Haus vorgeführt hatte. Und all das nur, um diesen schrecklichen Stacheln zu entkommen.
Glaucous starrte auf den jungen Mann hinunter, der jetzt schlaff auf dem Boden lag. Auf seinem plumpen, zerklüfteten Gesicht zeichnete sich ein Anflug von Zweifel ab. Ihm fiel ein, wie jämmerlich und zerzaust die sterbenden Vögel des Buckligen ausgesehen hatten, als er einen nach dem anderen auf die Straße geworfen hatte, den Ratten zum Fraß.
»Ist er entkommen?«, fragte Glaucous und beugte sich über den Körper.
»Er liegt direkt vor dir.« Mit einer Geste wischte Penelope seine Bedenken weg. Auf ihrer riesigen Hand krabbelten immer noch Wespen herum. Während Glaucous den schlaffen Körper weiterhin skeptisch musterte, riss Jack vor verständnislosem Entsetzen weit die Augen auf.
Glaucous tastete die Taschen des Jungen ab. Unter der dünnen Jacke spürte er zusammengefaltetes Papier. Als er unter die Jacke griff, fuhr ihm ein solcher Schock in die Glieder, dass sein Arm zu prickeln begann und seine Zähne aufeinanderschlugen. Er langte nach dem Papier und zog die Hand schnell wieder hervor.
Er brauchte keinen Whitlow; er wusste auch so, dass er das richtige Opfer erwischt hatte. Allerdings wagte er nicht, dem Jungen das Kästchen wegzunehmen. Stein und Beute mussten zusammen abgeliefert werden.
35
Die erste ferne Weltlinie, die Jack erreichen konnte, versetzte ihm einen solchen Schock, dass er fast die Besinnung verlor: Seattle wurde von einem gewaltigen Erdbeben erschüttert. Er verließ diesen Pfad so schnell wieder, dass er den Schlag, der ihn in die Höhe katapultierte, kaum mitbekam. Rückwärts trieb er durch ein Kaleidoskop flüchtig aufblitzender Alternativen, bis die Farben gedämpfter wirkten, das Aufflackern sich verlangsamte und er gegen etwas prallte, das ihm völlig unbekannt war (überhaupt hatte er einen Sprung wie diesen noch nie erlebt): eine Barriere oder gläserne Membran. Einen Moment lang konnte er fast hindurchblicken, doch irgendetwas zerrte ihn zurück, wollte ihn offenbar davor schützen, zu weit vorzudringen. Denn das, was hinter dieser Membrane lag, war noch schlimmer als sein derzeitiger Aufenthaltsort, und der war …
Als er landete, war er wie gelähmt, brauchte Zeit zur Orientierung. Nie zuvor hatte er eine Weltlinie besucht, die so abgestorben wirkte. Schon beim ersten Atemzug schienen sich seine Nase und die Lungen mit Ruß und Asche zu füllen.
Das Mietshaus, in dem er mit Burke gewohnt hatte, war der Form und Größe nach zwar unverändert, aber aus dessen Gemäuer war alles Leben gewichen. Durch das zersprungene Fenster fiel ungesundes Licht, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte. Von den Wänden löste sich die Farbe und rieselte zu Boden. Die Luft war zwar feucht, linderte die Trockenheit seiner Kehle aber nicht, sondern legte sich wie ätzender Nebel über seine Schleimhäute, so dass er das Gleichgewicht verlor.
Stolpernd setzte er einen Fuß vor – und trat auf eine ganze Schicht von Injektionsspritzen. Hunderte waren auf dem Fußboden verstreut. Als er aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahrnahm und herumwirbelte, zermahlte er dabei einige Spritzen, denn dieser Jack trug Stiefel mit schweren Sohlen. Er konnte nichts Lebendiges entdecken. Die Zimmer waren leer, und bis auf das Abblättern und Hinunterrieseln der Farbreste war kein Geräusch zu hören. Er streckte die bloßen Unterarme hoch und hielt sie sich ungläubig vor die Augen: überall Einstichspuren, teilweise noch schmerzende, teilweise verschorfte Stellen.
Wo er auch sein mochte, zumindest war er Glaucous und dessen überdimensionaler Teigtasche namens Penelope entkommen, da war er sich sicher. Doch das machte ihm keineswegs Mut. In letzter Zeit neigte er dazu, sich allzu weit vorzuwagen und nicht nur die eigenen kurzfristigen Perspektiven, sondern auch die längerfristigen seines ganzen Umfelds zu verändern.
Beispielsweise war er auf der Flucht vor Ellen in einer Weltlinie gelandet, die ihm jedes Gespür für Gefahr genommen hatte. Wie zwanghaft hatte er die Telefonnummer aus der Zeitungsanzeige
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