Die Stadt am Ende der Zeit
Schwerkraft und Physik, ja selbst die alten Gesetze des Raums und der Zeit außer Kraft gesetzt sind. Der Typhon scheint in dieser Instabilität zu schwelgen. Und alles, was dem Typhon gefällt, schürt das Chaos weiter und peinigt die alte Erde.«
»Dauernd redest du von dem Typhon so, als wäre er ein lebendiges Wesen«, sagte Nico. »Ist das wirklich jemand, der größer und mächtiger ist als diese seltsamen Eidola?«
»Das weiß ich ebenso wenig wie du«, erwiderte Pahtun nach kurzem Zögern. »Früher einmal betrachteten manche Menschen die unbekannten Kräfte der Natur als ehrbare Gegner oder auch als unversöhnliche Götter. Doch ich halte den Typhon nicht für einen Teil unserer Natur. Er ist kein ehrbarer Gegner, den man achten könnte, sondern etwas Krankes, eine Geißel der Menschheit. Das werdet ihr jedoch bald selbst am eigenen Leib erfahren. Und dann solltet ihr an solchen Vorstellungen über den Typhon festhalten, die euch am besten beim Überleben helfen.«
Diese Antwort schien Macht und Khren zu faszinieren, doch Nico, der Philosoph, wollte sich nicht damit zufriedengeben. Hingegen wirkten Perf, Shewel und die beiden Tranfunzeln nur verwirrt oder gelangweilt. Denbord und Tiadba hörten einfach zu und versuchten, sich mit eigenen Meinungsäußerungen zurückzuhalten.
Offenbar spürte Pahtun Tiadbas zurückgehaltene Skepsis, denn er kniete sich neben sie ins Sandbett des Kanals. Selbst in dieser Stellung war er noch einen Kopf größer als sie, obwohl sie aufrecht in ihrem Panzer dastand.
»Du hast eine Frage«, bemerkte er.
»Wir ziehen dorthin, wo wir hinziehen müssen«, sagte Tiadba. »Aber wer hat uns das in die Wiege gelegt?«
»Die Gestalter, nehme ich an, auf Befehl eines Eidolon. Ich würde den alten Strippenzieher gern einmal treffen und ihm meine Meinung sagen.« Pahtun wackelte mit den Fingern und fasste sich nach Art der Nachgezüchteten an die Nase. »Vor vielen, vielen Jahren, als ich noch jünger war, habe ich, um meine eigene Schuld zu sühnen, gegen die Gesetze des Stadtfürsten verstoßen und eigenständig Außenposten entsandt, die das Chaos untersuchen sollten.« Während sein Gesicht sich in Falten legte, hielt er einen Augenblick inne. Tiadba hatte den Eindruck, einen solchen Gesichtsausdruck zum ersten Mal bei einem Hochgewachsenen zu sehen. Sie wusste nicht, wie sie ihn deuten sollte. War es Traurigkeit, Verwirrung, Kummer über einen Verlust? »Aber sie haben sich nie zurückgemeldet«, fuhr Pahtun fort. »Wer die Kalpa verlässt, darf niemals zurückkehren – aus durchaus guten Gründen, die auf der Hand liegen.«
»Aber uns schickst du immer noch nach draußen«, bemerkte Tiadba.
»Klügere Köpfe als meiner haben diese Pläne geschmiedet, und ich nehme an, wir alle fühlen uns daran gebunden, wie die Konsequenzen auch aussehen mögen. Du folgst deinen Instinkten, ich erfülle meine Pflicht.« Er stand auf. »Falls von meinen Außenposten noch welche da draußen und in Freiheit sind, könnten sie von Nutzen sein, vielleicht aber auch nicht. Ihr müsst bei ihnen genauso auf der Hut sein wie bei allem anderen im Chaos.«
Perf blickte auf die Ebenen, die sich jenseits des Lagers im Nebel verloren. Macht legte die Hände aneinander und murmelte eine beruhigende Litanei vor sich hin.
Pahtuns Gesicht glättete sich und nahm einen entrückten Ausdruck an. »Ich glaube es, weil ich daran glauben muss: Falls einer von euch durchkommt, erreichen wir etwas Großartiges, etwas, das vielleicht all die jahrelangen Opfer eurer Art wettmacht. «
»Der alte Pede-Antreiber ruht sich aus.« Auf leisen Sohlen pirschte sich der stämmige Khren an Tiadba heran, die sich umdrehte und ihn kritisch musterte. Sie war erneut in Trübsal versunken. Natürlich war das nicht Khrens Schuld, aber er und seine Freunde boten keinen Ersatz für ihren Krieger, so albern Jebrassy sich zuweilen auch aufgeführt hatte.
»Du hast deine traurigen fünf Minuten«, bemerkte Khren sanft, da er ihre Stimmung spürte. Macht und Perf gesellten sich zu ihnen.
»Bitte lies uns noch was aus den Büchern vor«, sagte Perf. »Bring uns was bei.«
Graynes Schütteltuch und die alten Buchstabenkäfer waren nicht mehr da, um ihr zu helfen. Sie musste die Wörter eigenständig entschlüsseln, allerdings hatte sie Fortschritte darin gemacht. Was immer sie las, versuchte sie den anderen zu vermitteln und zu erläutern. Sie wusste, dass Grayne es so gewollt hätte. Seltsam, dass sie sich nicht mehr an Graynes
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