Die Stadt am Ende der Zeit
Jebrassys Paten erwischt hat. Man hat uns davor gewarnt!
Sie befanden sich einige Dutzend Meter von Pahtun entfernt, der immer noch mit erhobenen Armen auf einem hohen grauen Steinblock stand und sie heftig weiterwinkte.
»Was hat er denn?«, rief Khren.
»Nicht stehen bleiben!«, brüllte Tiadba. »Rennt weiter! Quer durch die Zone!«
Jetzt schlug die Stadt zurück. Ein Leuchten zerschnitt die Landschaft in simple gezackte Schwarzweißmuster. Alle Zwischentöne verschwanden. Die Dunkelheit wand sich wie in Krämpfen. Sie wagten nicht hochzuschauen, doch Tiadba warf aus den Augenwinkeln heraus einen Blick auf den Steinblock und Pahtun und sah, wie ihn eine rötlich aufflammende Spirale mit schwarzem Innenraum einhüllte. Sah, wie sein Schutzanzug sich auflöste und die Einzelteile im hohen Bogen davonflogen. Er schüttelte die letzten Fetzen ab und blieb nackt auf dem Steinblock stehen. Einen Moment lang – doch es war ein Moment, den sie niemals vergessen würde – sah sie einen Hochgewachsenen so, wie er wirklich war, sah den allzu glatten Körper in all seiner Blöße und Verletzlichkeit.
Und dann war er verschwunden. Von dem Steinblock stieg ein Funkenregen auf und stob davon.
Sie unterdrückte ein Stöhnen und rannte mit gesenktem Kopf weiter, während ihre Augen vor Scham und Angst brannten.
Es schienen nur ein paar schwere, hart zurückfedernde Schritte bis zu der niedrigen Mauer zu sein, die Pahtun ihnen beschrieben hatte. Dieser äußere Ring bildete die Grenze des Realen.
Ohne weiter darüber nachzudenken, sprangen sie über die Mauer. Vor ihnen ragte dort, wo bis jetzt nichts gewesen war, ein majestätischer Torbogen auf, übersät mit monumentalen Figuren. All diese Figuren waren Nachgezüchtete der alten Art, die in irgendeiner wunderschönen goldenen Substanz festsaßen. Ihre lächelnden Gesichter und die zum Willkommensgruß erhobenen Hände waren für immer erstarrt. Das Tor dehnte sich nach oben hin immer weiter aus und durchbrach den dunklen Strom, der sich ein Gefecht mit den Leuchtspiralen der von der Kalpa aktivierten Verteidiger lieferte.
Alle neun Marschteilnehmer schlichen um den Fuß des Bogens herum und quetschten sich zwischen den zerklüfteten, zackigen Felsen hindurch, die sie ringsum in allen Formen und Größen umgaben. Danach ließen sie sich erschöpft in eine Mulde fallen, drückten sich eng aneinander und umarmten sich zitternd.
Die Totenklage der Sirene ging in ein dumpfes Grollen über und verstummte bald darauf.
Stille.
Tiadba weinte. Herza und Frinna murmelten Gebete. Shewel und die anderen Jungen lagen still da, hatten die Augen jedoch auf die erstarrten Figuren im Tor gerichtet. In dieser Mulde war es zwar eng, aber sie kam ihnen wie ein guter Zufluchtsort vor. Zumindest tat sich hier kein Schlund auf, um sie zu verschlingen. Nach allem, was man ihnen beigebracht hatte, konnte sich Tiadba so etwas nur allzu gut vorstellen.
Sie hatten die Zone der Lügen überlebt. Ihre Panzer boten ihnen ausreichenden Schutz, doch bei Pahtun hatte dieser Schutz versagt. Vermutlich hatte ihn eine der Leuchtspiralen erwischt, die die Stadt zur Verteidigung gegen den Übergriff
des Chaos ausgesandt hatte – genau das, vor dem er die Gruppe gewarnt hatte.
Er hat sich geopfert. Für uns.
Plötzlich berührte sie das tief. Und nach dem, was Pahtun sie gelehrt hatte (fast meinte sie seine sonore Stimme zu hören), durften sie hier auf keinen Fall länger verweilen. Aber sie schafften es nicht, sich von der Stelle zu rühren. Alle waren wie gelähmt und versuchten zugleich zu rekapitulieren, was sie in der Ausbildung gelernt hatten, bemühten sich zu begreifen, was die Schutzanzüge ihren Körpern mitteilten, um ihnen das Ausmaß der Gefahr zu verdeutlichen. Doch sie vernahmen nur den eigenen Atem. Und später Tiadbas leise, zitternde Stimme, die sie aufforderte, aufzustehen und weiterzuziehen.
»Der Hochgewachsene hat uns geraten, uns bedeckt zu halten«, sagte Khren. »Ist er zurückgegangen?«
»Er ist fort«, erwiderte Tiadba. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, den anderen zu erzählen, was sie gesehen hatte.
»Wir sollten hierbleiben, bis er uns abholt«, bemerkte Perf.
»Er wird uns nicht mehr abholen. Wir sind jetzt auf uns selbst gestellt.«
»Wo sind wir überhaupt?«, fragte Nico und versuchte, einen plötzlichen Schluckauf zu unterdrücken. Er löste sich aus der Umklammerung seiner Freunde, setzte sich auf und versuchte, über den Rand der Mulde zu blicken.
»Wir
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