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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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setzte er nach. Dass Daniel keine Angst zeigte, machte ihn offenbar nur noch nervöser. »Wir beide brauchen Partner, wenn unsere Gebieterin zurückkehrt … Auf uns allein gestellt, würden wir aus dem Gleichgewicht geraten und wären ungeschützt.«
    »Du bist der Jäger, ich die Beute.« Daniel neigte den Kopf zu Glaucous’ nach oben gerecktem Gesicht und fuhr zurück, als
er dessen fauligen Gestank roch, den der Duft von Anis kaum kaschieren konnte. »Denk daran.«
    »Zu meiner Zeit habe ich Vögel manchmal auch freigesetzt.« Glaucous wischte sich über den Mund. »Zu meiner Zeit habe ich auch gute Taten vollbracht, wirklich wahr.«
    Daniel schüttelte den Kopf und wandte sich der Tür zu.
    »Ich bin hier nicht der einzige Jäger«, rief Glaucous ihm nach. »Und sie ist nicht die einzige Gefahr.«
     
    Daniel gesellte sich zu den dreien an der Tür. »Ich hoffe nur, euer Mr. Bidewell weiß, wovon er spricht.«
    Schicksalsergeben beobachtete Bidewell die Gruppe. »Ich bin sicher, Mr. Iremonk kennt diese Dinge aus praktischer Erfahrung. « Er zog einen Schlüsselring aus der Kitteltasche. Am Stahlhaken der Tür hing ein schwarzes Sicherheitsschloss aus Eisen. Während die Damen in einiger Entfernung warteten und Glaucous sich die Hände über dem Öfchen wärmte, hielt Bidewell den Ring hoch und rasselte mit den drei Schlüsseln. »Ich gebe euch jetzt die Anweisungen, und ihr müsst sie genau befolgen. Jack, gehen Sie zu der hinteren Wand und öffnen Sie die Tür auf der linken Seite – die linke, nicht die mittlere oder die rechte. Ginny, du trittst nach Jack ein und öffnest die Tür auf der rechten Seite – nicht die mittlere und nicht Jacks Tür. Beachte sie gar nicht. Jack links – Ginny rechts. Daniel …«
    »Die mittlere Tür, ich hab Sie verstanden.«
    »In den Räumen müsste es eigentlich ganz angenehm sein, weder warm noch kalt. In jedem Zimmer dringt durch ein kleines Fenster gerade so viel Licht, dass man etwas sehen kann. Seit hundert Jahren hat sie niemand mehr betreten. Kein Beobachter war dort Zeuge irgendwelcher Ereignisse. Bis auf
einen alten Stuhl und – vermutlich – etwas Staub sind die Räume leer und sauber.«
    Jack sah Ginny an. Das seltsame Mädchen erwiderte den Blick mit weit aufgerissenen, aber leeren Augen, so als erkenne sie ihn nicht, als wären sie einander nie begegnet, als wäre er ihr völlig gleichgültig. Offenbar war sie im Augenblick der Wirklichkeit weiter entrückt als er.
    Daniels Blick sagte: Wir sind alle völlig durchgeknallt, aber lassen wir dem alten Mann sein Vergnügen.
    »Wie viel Zeit ihr mit Mnemosyne verbringen werdet, ist schwer abzuschätzen, aber von hier draußen betrachtet, wird die Zeit schnell vergehen und die Begegnung höchstens ein paar Minuten dauern. Allerdings werden euch die Minuten vielleicht wie Jahre vorkommen.«
    Bidewell griff nach einem großen Messingschlüssel, der im Lauf der Zeit Grünspan angesetzt hatte, schloss die äußere Holztür auf und öffnete sie. Die Damen des Literaturzirkels sahen ihm dabei von ihrer Nische der Wärme und Sicherheit zwischen den hohen Bücherregalen und Leitern aus zu. Die höchsten Regale verloren sich im zunehmenden Dunkel oberhalb des Öfchens und der grün beschirmten Schreibtischlampen.
    Beim Öffnen knarrte die Tür, und vom oberen Türpfosten löste sich die Farbe. Als ein kalter Luftzug Jacks Füße streifte, kam es ihm so vor, als wäre ein ungeduldiger Hund an ihm vorbeigestrichen.
    »Sie zuerst, Jack.« Er spürte die Blicke wie Nadeln in seinem Rücken und trat, plötzlich fröstelnd, ein.
    » Bonne chance «, murmelte Glaucous, während Bidewell die Tür hinter Jack schloss.
    Der hohe, lang gestreckte Raum hinter der Tür war dunkel bis auf einen Streifen violetten Lichts, das vom Himmel durch das Fenster strömte. Es fiel von links über Jacks Kopf und malte ein blasses Rechteck auf die gegenüberliegende Wand. Ansonsten war der schmale, mit uralten, verwitterten Holzbohlen ausgekleidete Raum völlig leer.
    Als Jack die Augen zusammenkniff, konnte er nur mit Mühe die Rechtecke der drei Türen an der Wand gegenüber ausmachen, doch mit der Zeit passten sich seine Augen der Dunkelheit an. Vom Himmel schienen Geräusche auf die Erde zu dringen, doch hier drinnen klangen sie gedämpft und bildeten lediglich den Hintergrund der Wahrnehmung.
    Jack ging quer durch den Raum nach links, stellte sich dort in die Ecke und sinnierte darüber, wie sich die hohen Wände und die Deckenbalken in dem

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