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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ich dir kaum sagen. Ich gehöre zur uralten Art, verfüge nur über wenige Mittel und bin auf Abenteuer aus. Falls du aus der unmittelbaren Zukunft kommst, hinterlasse bitte keine Hinweise auf unser Schicksal; ich möchte es lieber nicht erfahren. Falls du aus der Vergangenheit stammst, kann ich dir lediglich verraten, dass die Uhren hier nicht mehr richtig ticken. Dennoch ist das Leben bei uns durchaus annehmbar – sofern man sich bescheidet. Andernfalls kann das Leben in den Ebenen recht grausam sein. Falls du aus der unmittelbaren Vergangenheit kommst und dich hier umtun möchtest, pass auf meinen Körper auf – und flirte mit keiner der verlockenden Flammen, denen du möglicherweise begegnen wirst.« Bei diesen Worten verzog sich das Gesicht des weiblichen Wesens so, dass sich Grübchen und Linien bildeten. »Falls du Unterhaltung suchst, kannst du an den Gefechten teilnehmen. – Nein, das wirst du nicht«, setzte sie nach, sah ihn kurz an und las weiter. »Seit deinem letzten Besuch hat sich hier einiges verändert. Wir begeben uns auf einen Marsch, das ist alles, was ich weiß. Doch ich hoffe, bald mehr zu erfahren.«
    Die Frau blickte erwartungsvoll auf. »Mehr konnte er nicht niederschreiben. Wirst du schlau daraus? Natürlich würden wir
gern alles erfahren, was du uns verraten kannst – alles, was du zu erzählen bereit bist.«
    Offensichtlich machte sie sich Sorgen darüber, wie er auf die Nachricht reagieren würde. In seinem Kopf begann sie bereits zu verblassen. Ich bin dieser Frau schon früher begegnet. Aber liegt dieses »früher« vor oder nach der jetzigen Begegnung?
    Es gibt hier keinen logischen Zeitablauf.
    Denk an Mnemosyne!
    »Ich bin völlig durcheinander«, brachte er mühsam heraus. Sein Mund war inzwischen wieder taub. »Falls … ich … eine Weile … hier bleibe, muss ich einiges lernen. Könntest du mir dabei helfen?«
    »Mit Vergnügen. Allerdings bleibst du meistens nicht lange. Kommst du aus der Zukunft oder aus der Vergangenheit?«
    »Das weiß ich nicht. Ist das hier … die Kalpa?«
    »Genau!«, rief sie entzückt. »Die Ebenen liegen in der Kalpa, ganz unten, soweit ich weiß. Wir leben sehr bescheiden. Du erinnerst dich also!«
    »Nur an einige Dinge … Ich erinnere mich an dich.«
    »Aber wir sind uns bis jetzt nie begegnet«, erwiderte sie mit liebenswerter Anteilnahme. »Allerdings hat Jebrassy mir … ein wenig … von dir erzählt.«
    »Wie heißt du? Warte mal … Du heißt Tiadba, stimmt’s?«
    Das entzückte sie noch mehr, obwohl es sie zugleich verwirrte. »Hat er dir das erzählt? Und wie heißt du?«
    »Ich weiß es nicht. Das hier ist der Ort, den ich aufsuche, wenn ich in meinen Träumen herumgeistere, stimmt’s?«
    »Der Ort, den du aufsuchst, ja. Aber woher kommst du?«
    »Ich kann mich nicht daran erinnern. Es ist alles so verwirrend. «
    Tiadba zeigte Mitgefühl, so viel erkannte er. Aber ihre Mimik, die Art, wie sich ihre Wange, der Kiefer und die Lippenmuskeln bewegten, befremdete ihn … Er fand es seltsam, doch allerliebst. Sie hatte überaus winzige Ohren und überaus große Augen, fast wie eine …
    Ein weiteres Wort, das ihm nicht mehr einfallen wollte.
    Er spähte zur Decke hinauf. Fast konnte er entziffern, was die Insekten mit den Buchstaben auf den Rücken geschrieben hatten. Offenbar hielt man sich hier als Haustiere Insekten, die Wörter bilden konnten. »Was machen die da?« Er versuchte sich vorzubeugen, aufzurichten und aufzustehen. Aber das ging zu schnell und war zu viel auf einmal. Seine Augen verloren den Fokus, und er konnte nur noch verschwommen sehen. Es war so, als wäre ein Rollladen heruntergelassen worden. Er wollte nicht fort, gerade jetzt nicht, da er kurz davor stand, mehr in Erfahrung zu bringen, diese schöne Frau an seiner Seite hatte, die ihm helfen wollte, und so lange einsam gewesen war.
    Er versuchte die Hände auszustrecken, konnte sie jedoch nicht bewegen. »Ich falle. Halt mich fest«, sagte er, wütend darüber, dass er die Lippen kaum auseinanderbringen konnte.
    »Versuch zu bleiben, versuch’s mit aller Kraft!« Tiadba umklammerte seine Hände und Arme. Sie war verblüffend stark. Doch aus seinem Kopf, dem Körper, den Gliedern wich jedes Gefühl. Das Letzte, was er sah, war ihr Gesicht, ihre – braunen – Augen und die flache, ausdrucksvolle Nase …
    Jacks Bewusstsein schrumpfte auf einen wirbelnden Punkt zusammen. Irgendetwas schwirrte herum und rastete danach ein. Gleich darauf dehnte der Punkt sich aus,

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