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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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beißende Schlange, die sich in seinen Gedärmen wand.
    Jäh fuhr er von der Matratze hoch und schlug auf seine Arme ein. Seine Haut war davon überzeugt, dass winziges Ungeziefer auf ihr herumkrabbelte. Scheiße gebaut? Maden in der Haut.
    Er ging ins Wohnzimmer und zog die braune Folie weg, die jemand vor das Fenster geklebt hatte. Straßenlampen milderten das Dunkel da draußen; jede beschrieb mit ihrem Licht eine vage Ellipse auf den Fußgängerwegen und dem Gras.
    Ein Wagen mit grellen blauen Scheinwerfern fuhr mit zischenden Reifen über das nasse Pflaster.
    Da er kaum fähig war, sich zu rühren, las er schon seit zwei Tagen. Aus dem Altpapierbehälter unter der Küchenspüle hatte er Zeitungen und Zeitschriften herausgeholt, um herauszufinden, wie viel Zeit ihm noch blieb – wie viel Zeit ihnen allen in dieser Welt noch blieb, bis die Anzeichen sich vervielfachen, die mythologischen Tiere sich vermehren und die Bücher vor Unsinn überquellen würden. Bis Staub und Schimmel sich überall festsetzen würden.
    Brer Rabbit ran so fast
Skip right out o’his skin,
Had ter push ’nother rabbit out –
And climb –
Back –
In.
    Er ließ das Rollo herunter und zog einen einsamen Esszimmerstuhl in die Zimmermitte. Als die Stuhlbeine über die unebenen Holzbohlen kratzten, klang es wie das heisere Geschrei einer alten Frau.
    Was war sonst noch anders an dieser Welt? Mal abgesehen von der schmerzlichen Tatsache, dass Daniel Patrick Iremonk hier nicht existierte …
    Sag du mir, was anders ist, Bruder Hase.
    Wo kommst’n du her?
    Auch Daniels Heimatstadt hatte Seattle geheißen.
    Das gute alte Seattle. Noch feuchter und grauer als diese Version, falls das überhaupt möglich war. Weniger Einwohner. Und seinerzeit hatte sich hier nicht annähernd so viel Reichtum konzentriert. Die Stadt war freundlicher gewesen. Die Leute hatten viel persönlicher miteinander verkehrt, die Nachbarn zusammengehalten. Und die Kinder hatten nicht ewig vor den Computerbildschirmen geklebt, eingeschlossen in künstliche Welten. Waren bodenständiger gewesen. Wenn er an diese Welt zurückdachte, empfand er sie als passender, richtiger, und dennoch hatte er nie wirklich dazugehört. Stets hatte er Ausschau nach einem Weg gehalten, der nach draußen führte, und nach einem Vorwand gesucht, diese Welt zu verlassen. Und schließlich hatte er zu seinem grenzenlosen Bedauern (das jedoch nicht lange anhalten sollte) beides gefunden.
    Right out o’ yo’ skin.
    Er war aus seiner Haut geschlüpft. Als Teenager hatte er dem, was er da anstellte, schließlich einen Namen gegeben: den Abflug machen, um unterschiedliche Schicksalsfäden zu kreuzen. Eine Reise in der fünften Dimension aus rein eigennützigen Motiven. Ein Monopoly-Spiel, bei dem es nicht darum ging, Straßenfelder zu erwerben, sondern Schleichwege rund ums Spielbrett einzuschlagen oder sich unter bebauten Spielfeldern hindurchzugraben.
    Die Reichen wurden reicher, weil sie bereits reich waren, doch die Armen wurden ärmer, weil sie sich an die Spielregeln halten mussten. Sie konnten sich nicht wie Maulwürfe durch das Monopoly-Spiel graben oder wie Hasen einen Satz zur Seite machen.
    Now, dat rabbit, some rabbit,
Brer Rabbit, my, how he could jump!
    Als Teenager fand er es außerdem an der Zeit, sich gründlicher mit dem zu befassen, was er da eigentlich trieb. Irgendwann führte ihn das quer über die Schnellstraße zur alten Carnegie-Bibliothek an der Ecke Fünfzigste Straße und Roosevelt. Im sanften Licht der großen Hängelampen aus Bronze und Milchglas hatte Daniel, während er dem Regen lauschte, der gegen die hohen Fenster schlug, populärwissenschaftliche Bücher von Gamow, Weinberg und Hawking durchgearbeitet und war schließlich auch auf P.C.W. Davies gestoßen. Von Davies hatte er viel über die spezielle Relativitätstheorie, Singularitäten und universelle Konstanten gelernt.
    Ein Mann namens Hugh Everett hatte die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik begründet. Und zwei Männer
mit dem Vornamen David – Bohm und Deutsch, sehr unterschiedlich in ihren Ansätzen – hatten ihn mit der Möglichkeit eines Multiversums vertraut gemacht. Nach dieser Lektüre hatte Daniel sich verästelte Realitäten, irgendwie nebeneinanderliegende vierdimensionale Kosmen jenseits einer fünften Dimension vorgestellt – einen dicken Strang unterschiedlicher Weltlinien.
    John Cramer, der als Professor für Physik an der University of Washington lehrte, hatte über

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