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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Symptomen. Hat Sie schon mal jemand bei diesen Aussetzern beobachtet?«
    »Gerade eben ist es wieder passiert, im Wartezimmer. Trotzdem hab ich weiter in der Zeitung geblättert. Offenbar ist es keinem aufgefallen.« Er deutete auf den Stuhl, auf dem seine Jacke lag. Aus der Tasche ragte die Seattle Weekly .
    »Aha.« Sie leuchtete ihm mit einer kleinen grellen Taschenlampe in die Augen. »Telefonnummer?«
    »Wie bitte?«
    »Ihre Telefonnummer, wegen des neuen Termins.«
    Es gab ihr Burkes Nummer, die sie sich auf seinem Krankenblatt notierte. »Ich werde Dr. Lindblom bitten, Sie im Harborview unterzubringen. Bitte nehmen Sie den Termin wahr. Wenn nicht aus Eigeninteresse, dann wenigstens mir zuliebe, ja?«
    Jack nickte feierlich, wich ihrem Blick jedoch aus.
    Sangloss zückte einen Zungenspatel. »Weit aufmachen!« Während er nicht sprechen und nur Vokale herausquetschen konnte, sagte sie: »Vor drei Wochen habe ich Sie in der Innenstadt gesehen. Beschwert sich nie jemand, wenn Sie mit Ratten jonglieren?«
    »Ammm«, erwiderte Jack. Als sie den Holzspatel anhob, nahm er seine Lippen zwischen zwei Finger, ließ sie losschnalzen und lächelte. »Manche schon. Dann lasse ich sie die Ratten streicheln und führe ihnen vor, wie ich mit den Viechern umgehe. «
    »Womit jonglieren Sie sonst noch? Ich meine, mit welchen lebenden Objekten?«
    »Früher mal mit einem Kätzchen.«
    »Tatsächlich? Und warum haben Sie damit aufgehört?«
    »Wurde zu groß. Hab sie einem Freund geschenkt. Den meisten Katzen gefällt das Jonglieren nicht, aber diese war was Besonderes. Ich hatte auch mal eine Schlange, aber Schlangen sind kompliziert.«
    »Kann ich mir vorstellen.« Während Jack seinen Mund wieder schloss, machte Sangloss sich weitere Notizen.
    »Was stimmt bei mir nicht?«
    »Es ist nichts, das schnell zu diagnostizieren wäre. Sie sollten immer ein kleines Notizbuch mit sich führen, griffbereit. Halten
Sie alle Episoden fest – Häufigkeit, Empfindungen, Aura, alles, woran Sie sich erinnern können. In Harborview wird man Sie danach fragen.«
    »Geht klar.«
    »Und hören Sie damit auf, Ihre Ratten durch die Gegend zu werfen, ja? Bis wir herausgefunden haben, was mit Ihnen los ist.«
     
    Dr. Sangloss machte für heute Schluss, verabschiedete die Empfangssekretärin und die Schwestern, schloss ab, drehte die Heizung herunter, sah nach, ob die Wasserhähne in den Toiletten und im Labor abgestellt waren, überprüfte alle Schlösser und die Überwachungskameras im Arzneimitteldepot. Danach blieb sie einen Augenblick stehen und blickte sich im vorderen Behandlungsraum um. Die Klinik versorgte die unterschiedlichsten Patienten, und nicht allen konnte man trauen.
    Im Behandlungsraum war es völlig still. Durch die halb heruntergelassenen Fensterjalousien konnte sie sehen, dass kein Mensch auf der Straße war. Durch irgendeinen Mauerriss pfiff leichter Wind. Es war ein altes, zugiges Gebäude.
    Sie ging zu dem kleinen hinteren Büro hinüber, in dem sie einige Akten aufbewahrte, und schloss die untere Schreibtischschublade auf. Während sie ihr Handy herausholte, fröstelte sie plötzlich. Das kam ihr seltsam vor, denn die alte Heizung hatte bis eben noch Wärme abgestrahlt, ehe Sangloss sie für die Nacht heruntergedreht hatte. So seltsam, dass sie am liebsten das Buch aufgeschlagen hätte, das Conan Arthur Bidewell ihr mit der Anweisung überlassen hatte, es nie zu lesen und nicht einmal längere Zeit in den Händen zu halten.
    Bidewell war ein seltsamer, aber fesselnder Mensch – und er kam für die Kosten der Klinik auf. Hatte sie sogar schon fünf Jahre im Voraus bezahlt.
    Zum vierten Mal jährte sich heute ihre erste Begegnung im grünen Lagerhaus. Grün, genau wie der Ledereinband des kleinen alten Buchs, das jetzt halb von Lehrbüchern und Zeitschriften verborgen auf dem Stahlregal stand. Sie musterte den Buchrücken aus rissigem Leder, in den nur eine einzige Zahl eingraviert war: 1298 . Eine Zahl oder ein Jahr.
    Worauf würde sie stoßen, wenn sie es tatsächlich lesen würde?
    Mühsam löste sie sich aus dem Bann des Buches und gab eine Telefonnummer in ihr Handy ein. Eine Frauenstimme antwortete. »Ellen? Hier Miriam. Ich habe unseren jungen Mann untersucht. Alle Zweifel beseitigt. Du hast doch seine Adresse, oder … Nein, ich will damit gar nichts andeuten, Liebes. Sicher werden wir alle mütterliche Gefühle für ihn entwickeln. Grüß die Hexen. Ich glaube nicht, dass ich heute Abend noch komme. Könnte den

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