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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Geld zu geben. Nur sehr wenige, und um die tat es ihm am meisten leid, kurbelten ihre Fenster herunter und boten ihm überzähliges Kleingeld oder ein paar Dollar an. Der Rest sah ihn nicht, wollte ihn nicht sehen. O je, jetzt fahren die anderen schon weiter, nun ist es zu spät, sonst hätte ich ihm irgendwas gegeben, hab ja wirklich Mitleid mit diesen armen, vom Glück verlassenen Leuten …
    Und wie lange würde es noch dauern, bis sie alle vom Glück verlassen waren? Glücksträhnen halten nicht ewig an. Die Weltlinien würden sich aneinanderheften, wie die ausgetrockneten Sehnen eines Leichnams verklumpen und darauf warten, dass man sie kappte … Kurze Stängel in einem verwelkten Blumenstrauß.
    Einen Augenblick lang war die Straße leer und die Ecke ruhig. Er lauschte darauf, wie der Wind durch das spärliche Gestrüpp fuhr und die jungen Erlen am Straßenrand sich wegduckten. Schon den ganzen Morgen über hatte es plötzliche
Schauer gegeben. Der Regen hatte Daniels Mantel – den mottenzerfressenen alten Pendelton aus dem Ramschladen – und die langen Wollunterhosen durchnässt, und bei jedem Schritt quietschten die Socken in den Schuhen. Trage nie teure Schuhe. Achte darauf, den Mantel und die Oberbekleidung nach der Säuberung wieder mit Dreck zu beschmieren. Verteil den Dreck auch auf Handflächen und Fingern, damit ein bisschen Schmutzwasser von der Hand tropft, während du deren armseliges Kleingeld (in Ausnahmefällen auch Geldscheine) entgegennimmst.
    Um was zu beißen zu haben, hatte Daniel Patrick Iremonk sich vorläufig mit der Situation arrangiert und spielte mit.
    Ein kleiner gelber Volkswagen fuhr heran; er wirkte vertraut. In Daniels Welt hatte es auch solche Volkswagen gegeben, bevor sich diese Welt vom Schlackenstaub der Asche verdunkelt und er überstürzt die Flucht angetreten hatte. Hinter dem Steuer hockte ein dicker junger Mann mit kirschroten Wangen, Himmelfahrtsnase und kurzem, dichtem schwarzem Haar. Er trug ein graues Jackett, dessen Ärmel zu kurz waren, und darunter ein Hemd mit rosa Streifen. Daniel hielt ihn für einen Handelsvertreter. Nicht viel Geld auf der Bank, dafür jede Menge Schulden. Aber den Wagen hielt er sauber und achtete auf gebügelte Kleidung.
    Daniel streckte sein Schild hoch.
    Sind schlechte Zeiten für mich.
Haben Sie etwas Kleingeld für mein Essen übrig?
Gott segne Sie!!!
    Daniel konnte die Ampel fünf oder sechs Minuten lang auf Rot stellen und die Autofahrer damit so lange zum Halten
zwingen, bis sie nervös wurden, die Scheiben herunterkurbelten und ihm Kleingeld anboten, damit er sie weiterfahren ließ. Mein Gott, ist das eine langsame Ampel. Zeit, dass es weitergeht!
    Inzwischen reichte die Wagenschlange schon bis zur Schnellstraße zurück.
    An der Ecke gegenüber hatte sich Florinda aufgebaut, die magere braunhäutige Frau, deren knochige Arme und Beine an Stöcke erinnerten. Auch sie streckte ihr Schild hoch, ein braunes Pappschild mit Eselsohren, auf dem Sätze voller Rechtschreibfehler standen. Sie würdigte die Autofahrer kaum eines Blickes – es war eine ungünstige Ecke mit ständig fließendem Verkehr.
    Florinda war Ende vierzig. Lange verfilzte Haarsträhnen umrahmten ihr Gesicht. Da sie Kettenraucherin war, musste sie mit ungünstigen Standorten vorlieb nehmen, denn alle fünfzehn Minuten machte sie eine Zigarettenpause und verlor dadurch die besseren Plätze zwangsläufig an aggressivere Schnorrer.
    Die Ampel blieb ewig lange auf Rot stehen, fraß den Leuten die Zeit weg, frustrierte sie, ließ sie nervös mit den Fingern trommeln.
    Der Vertreter bedachte Daniel mit einem feindseligen Blick. Er atmete durch den Mund, wie Daniel auffiel. Der Kiefer war leicht aufgeklappt, die Unterlippe hing schlaff herunter. Seine Augen konnte Daniel nicht sehen, sie lagen im Schatten des schräg einfallenden Lichts, das von Wallingford herüberdrang.
    Schließlich beugte der Vertreter sich mit finsterem Blick vor und kurbelte die Scheibe herunter, wobei seine Schulter vor
Anstrengung zuckte. »Lassen Sie mich durch, wenn ich Ihnen Geld gebe?«, rief er.
    »Klar«, erwiderte Daniel und beugte sich ebenfalls vor, um dem Mann in die Augen zu sehen. Doch dessen Kopf senkte sich, als er die dicken Finger unter den harten, klobigen Verschluss des Sicherheitsgurts schob, um in die Jackentasche zu greifen.
    Daniel konnte die Ampel höchstens noch ein paar Sekunden auf Rot lassen. Wenn er das zu lange ausdehnte, würde die Verkehrsüberwachung in der Stadt

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