Die Stadt der Engel
dort untersucht. Jede zehnte Thailänderin zwischen vierzehn und vierundzwanzig Jahren arbeitet als eines der rund 500.000 Liebesmädchen des Landes, und die meisten von ihnen kamen, von falschen Versprechungen angelockt, aus dem Norden und schicken den Lohn der Feilheit ihren nichts ahnenden Eltern, um ›bunk-hun‹, die Dankesschuld abzutragen, zu der jeder Siamese gegenüber Vater und Mutter verpflichtet ist.
Dieser Missstand und die landesübliche Korruption wurden zum Nährboden radikaler Ideen aus den Nachbarländern und verwandelten die Region in Thailands offene Wunde, die zu einer landesweiten Infektion führen konnte. Die Thai Border Police, die Grenzpolizei, war gegen Schmuggel, Infiltration und Opiumanbau machtlos. Der Drogenhandel hatte eine lange Vergangenheit, und ein Mann wie Garella wußte natürlich, daß dieser Handel im Sündenregister der CIA eine große Rolle spielt: Der US-Geheimdienst hatte sich einst mit den ins Grenzgebiet verschlagenen Soldaten des Marschalls Tschiang Kai-schek verbündet und das mörderische Geschäft Rauschgift gegen Waffen aus politischen Gründen gefördert. Örtliche Opiumkönige mit eigenen hochgerüsteten Söldnern beherrschten das Terrain; aber in letzter Zeit war einer nach dem anderen ausgeschaltet und dem Kommando eines neuen Monopolisten unterworfen worden, der bei den westlichen Gegenspielern den Decknamen Sulla führte und damit den kommunistischen Untergrund finanzierte. Drogenhandel und Subversion waren in diesem Land siamesische Zwillinge.
Die THAI TRANSPORTATIONS COMPANY (THAI TRASCO) hatte in Chiang Mai eine ihrer wichtigsten Niederlassungen. Bei dieser thailändisch-amerikanischen Speditionsfirma handelte es sich um einen internationalen Konzern mit eigenen Schiffen und eigenen Flugzeugen und einem gewaltigen Fuhrpark, um eine Mammutfirma mit Beteiligungen und Tochterfirmen, geleitet von einem Thai-General und einem Colonel und altem Haudegen als gleichberechtigten Präsidenten. Diese Spitzenmanager waren hochangesehene Mitglieder des AMERICAN CLUB; sie repräsentierten die feinste Gesellschaft in der Stadt der Engel.
Ausgerechnet dem von ihnen geleiteten Konzern wurde in Vasatranas Dossier angelastet, in Zusammenarbeit mit roten Rebellen aus Laos und Burma, durch Ausschaltung der örtlichen Opiumkönige, den Rauschgiftanbau zu kontrollieren, Chemiker aus Hongkong mit der Gewinnung des reinen Heroins in etwa dreißig Verarbeitungsstätten im Grenzgebiet beauftragt zu haben und den Transport und Vertrieb der Droge durch Beauftragte weltweit zu leiten. Diese unglaubliche, doch glaubhaft gemachte Aussage wurde durch Namen, Zeugen, Indizien und Asservate belegt, und seit der Verhaftung Predis reichte der Verdacht bis in die Nähe der beiden THAI-RASCO-Präsidenten. Erstmals wurden von Opiumspionen die Namen von Beamten und Offizieren in höheren Stellungen genannt, die bisher dafür gesorgt hatten, daß alle Kommandounternehmen gegen den Rauschgifthandel erfolglos geblieben waren.
Die Narbe in Garellas Gesicht schillerte hellrot und machte seine Herzschläge sichtbar. Er merkte nicht, daß er zwei Zigaretten auf einmal rauchte. Er stand auf, riß die Tür zum Nebenzimmer auf, wo Vasatrana ihn gespannt erwartete. »Congratulations«, beglückwünschte er den Major. »You did a fantastic job, Somjot.«
»Thanks a lot«, erwiderte der hochgewachsene Thailänder mit dem schnurgerade gezogenen Scheitel im dunklen Haar. Polyglott, wie er war, setzte Vasatrana in deutsch hinzu: »Danke vielmals, Paul.«
»Lassen Sie mir noch eine halbe Stunde Zeit, Ihr Dossier zu verdauen«, bat Garella. »Dann würde ich Ihnen gern einige Fragen stellen.«
Er ging in sein Zimmer in der subversiven Kommandozentrale von Bangkok zurück und schritt gleichzeitig über schmale verwundene Pfade, kletterte durch felsiges Gelände aufwärts, näherte sich Häusern, die wie Adlerhorste an Felsen klebten, kämpfte sich in ein Gebiet vor, in dessen Dschungelbergen und Regenwäldern sich die Grenzen dreier Länder verlieren.
Hier enden Zivilisation, Religion und Staatsautorität. Die Bergstämme leben abgekapselt, jeder für sich im düsteren Ahnenkult, primitiven Geisterglauben, selbstverständlicher Vielweiberei und im ständigen Opiumrausch. Sie verstehen die Sprache der Regierungskommissare nicht, die den Lahus, Lisus, Akhas, Karens, Meos und Yaos beibringen wollen, statt des Schlafmohns Reis, Mais und Getreide anzubauen.
Nichts ändert sich in dieser steinzeitlichen Bergwelt,
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