Die Stadt der Engel
Verlustmeldungen auf diversen Weltflughäfen gewesen: In London, Frankfurt, Paris, Hongkong, Los Angeles, Tokio und Rom vermissten Passagiere im Gedränge auf einmal Gepäckstücke. Fehlleitungen ergeben sich im Luftverkehr immer wieder einmal; aber hier handelte es sich nicht um Pannen, sondern um organisierten Diebstahl. Alle vermissten Koffer waren erst nach der Zollkontrolle abhanden gekommen und dann nie mehr oder erst nach einer gewissen Zeitspanne in den Ankunfts-Flughäfen wieder aufgetaucht, ohne daß etwas von ihrem Inhalt gefehlt hätte. Am auffälligsten aber war, daß alle geschädigten Touristen vom Airport Bangkok, mitunter auch als Loveport verspottet, abgeflogen waren.
Der Verdacht des Majors erhärtete sich nach der Meldung der Flughafen-Polizei in München-Riem, daß ein Dr. Giraff, Stammbesucher in der Stadt der Engel, nach der Zollkontrolle plötzlich ohne Koffer dagestanden hätte. Der Fahnder folgte den Spuren Dr. Giraffs in Thailand. Es war nicht schwer, den Aufenthalt von Malees September- und Februar-Abonnenten zu durchleuchten, und so stießen Vasatrana und seine Männer auf den Bruder Predi, der beständig zwischen Nordthailand und der Menam-Metropole hin- und herreiste. Der Verdächtige wurde auf Schritt und Tritt beschattet; es stellte sich heraus, daß er ein Heroinkurier und vermutlich noch viel mehr war: ein Kapo der Opium-Mafia, der offiziell für die THAI TRASCO arbeitete, die ebenso Auftraggeber sein konnte wie völlig unbeteiligt an dem Drogen-Deal.
Vasatrana gelang es, seine Leute in das Netz einzuschleusen. In Thailand herrscht eine Art Clan-Wirtschaft mit geradezu altjapanischer Samurai-Moral. Es war nicht unwichtig, wenn der Rauschgiftexperte in einer grauen Zone operieren mußte. Nur weil Vasatranas Mitarbeiter auf den Major persönlich eingeschworen waren, konnte der Ehrgeizige ohne Wissen seiner Vorgesetzten direkt mit dem großen Gregory und dadurch auch mit Paul Garella zusammenarbeiten.
Das Sprungbrett seiner Operation war Chiang Mai, die zweitgrößte Stadt des Landes, 700 Kilometer von der Menam-Metropole entfernt. Hier unterhält das thailändische Königspaar eine Sommerresidenz, in der es sich fast halbjährlich aufhält. Chiang Mai, die Perle des Nordens, die Stadt der Blumen und der tausend Tempel. Man rühmt ihr die hübschesten Mädchen, das erträglichste Klima und die schönste Umgebung nach, aber dieses Schmuckstück ist auch die Etappenstadt des Goldenen Dreiecks, ein Umschlagplatz zwischen Nord und Süd, mit der Hauptstadt durch Flugverkehr, Bahnlinie und Überlandkonvois verbunden.
Hoch über Chiang Mai bewachen als Geisterabwehr zwei siebenköpfige Nagas, Riesenschlangen mit gefletschten Zähnen, den steilansteigenden Zugang zum Wat Doi Sutep. Links und rechts der Treppe säumen ihre gewundenen Rümpfe die dreihundert Stufen der Himmelsleiter zu Meditation und Frömmigkeit. Die eigentliche Hydra, ein Schlangenungeheuer, dem nach der griechischen Sage die abgeschlagenen Köpfe nachwachsen, lauert weiter im Norden, Nordosten und Nordwesten, und trotz aller Versuche fehlte noch immer ein Thai-Herakles, der das Monster töten konnte.
Hinter Chiang Mai beginnt zunehmend die ärmste Zone eines Entwicklungslandes, endet die Überfülle, fehlen die Stände mit den leuchtenden Blumen, das berstende Angebot von Orangen, Limonen, Mangos, Papayas, Zimtäpfeln, Brotfrüchten und Durian, der Stinkfrucht, die Männerkräfte steigern soll. Die Landschaft wird karstig und unfruchtbar. Schwebende Hängebrücken, auf denen Kinder schaukeln, über die bedächtige Mönche aus den Wats zu ihren alltäglichen Bittgängen ausschwärmen, recken sich über Stromschnellen; Elefanten roden die Teakwälder im unteren Bergland. Dann wird die Landschaft noch kärglicher und unwegsamer und die darbende Bevölkerung aufgeschlossen für die kommunistischen Einflüsse der Nachbarländer Laos und Burma. Zugänglicher auch den Überredungskünsten der Einkäufer menschlicher Handelsware, die ihnen für einen Geldbetrag im Wert von etwa tausend Mark die Töchter abschwatzen, um sie angeblich in der Landeshauptstadt als Hotelbedienstete, Verkäuferinnen oder Hausgehilfinnen unterzubringen.
Tatsächlich landen sie im Amüsiergewerbe und sinken Schritt für Schritt tiefer in die Prostitution. Wenn die Züge auf Bangkoks Hua-Lampong-Bahnhof einrollen, steigen ganze Scharen der von Zutreibern bewachten Mädchen aus den Abteilen, werden in eines der umliegenden Ladengeschäfte getrieben und
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