Die Stadt der Engel
ordentlich bestallter werden würde. Er erreichte Pallmann beim Mittagessen, aber der Chef der Südostasienabteilung, ohnedies auf die Stadt der Engel fixiert, war nicht unwillig darüber.
»Blitzmeldung«, sagte Pullachs Mann in Bangkok. »Diesmal geht es nun wirklich los.«
»Befürchtet man, daß die Kämpfe nach Thailand übergreifen werden?«
»Das nicht; einzelne Grenzverletzungen vermutlich, aber nicht mehr. Ich halte Sie auf dem laufenden, Herr Regierungsdirektor.«
»Gut so. Meine Abteilung arbeitet heute Nacht geschlossen durch«, erklärte Pallmann. »Was gibt es sonst Neues in Bangkok?«
»Na ja, Gerüchte, Gewäsch, Spekulationen.« Er zögerte und setzte dann hinzu: »Über Garella zum Beispiel.«
»Sprechen Sie ruhig ins unreine, Grawutke«, ermunterte Cicero den großen Schlanken.
»Weder bei uns noch bei den Engländern und Franzosen, selbst bei der Agency nimmt man die Version von seinem Unfalltod ab …«
»Sondern?« fragte Pallmann.
»Man glaubt, daß die New Yorker Polizei entweder gepfuscht oder geblufft hat.«
»Starker Tobak«, quittierte Pallmann. »Und wie kommen diese Hellseher darauf?«
»Viele hier kannten Garella persönlich«, antwortete der amtierende Resident. »Sie wissen, wie sehr unsere Gegenspieler hinter ihm her waren, und vermuten, daß er ermordet wurde. Aber wie gesagt: Gerüchte, nichts weiter … Sie wollten sie ja hören.«
»Lassen Sie es mich wissen, wenn Ihnen in dieser Sache weitere Versionen zu Ohren kommen. Mich persönlich«, erwiderte Pallmann.
»Sie können sich auf mich verlassen, Herr Regierungsdirektor«, betonte Grawutke, völlig überflüssig. »Ich melde mich wieder.«
Einen Moment lang sah Pallmann ins Leere. Sein Gesicht wurde von Sorgen plissiert, nicht wegen des Geredes über Garellas dubiosen Tod, das es auch im Camp gab. Das Verhalten des sowjetischen KGB und der angeschlossenen östlichen Geheimdienste gaben ihm und dem großen Gregory zu denken. Die beiden Regisseure hatten gehofft, daß Moskaus Agenten auf den Bluff hereinfielen, aber daß sie ihn ohne Nachforschungen zu akzeptieren schienen, war seltsam.
Der Untergrund hat seine Querverbindungen. Auf einer unteren Ebene arbeiten Agenten, die sich normalerweise bekämpfen, gelegentlich auch zusammen. Man kappt diese Kontakte an den Nahtstellen nicht so ohne weiteres, schon weil sie auch für die Desinformation des Gegners benötigt werden. So hätten also Langley und Pullach längst erfahren müssen, daß die Untergrundzentrale an Moskaus Dscherschinskyplatz Nachforschungen anstellte, bevor sie Garella ausbuchte; aber nichts war darüber bekannt geworden. Der große Gregory, ein Optimist, nahm an, der Türke sei so perfekt gewesen, daß er die Sowjets austrickste; der Pessimist Pallmann fürchtete, die andere Seite könnte diesmal sogar die untere Ebene abgedichtet haben.
Grawutkes nächster Anruf kam um 18 Uhr 30 Ortszeit und brachte nicht viel Neues. Zu dieser Stunde entschloß sich Dany Callway, ihren Einkaufsbummel abzubrechen, zumal die einmaligen Farben der Thai-Seide Tageslicht erforderten – aber das war wohl nur ein Vorwand vor sich selbst. Die Journalistin war erschöpft, gehetzt: Sie spürte, daß sie von Garellas Beauftragten systematisch überwacht wurde. Dany war nicht ängstlich, aber jetzt begann sie, in jedem Zimmermädchen, jedem Kellner, jedem Liftboy und jedem Taxifahrer einen Spitzel zu sehen. Sie wurde genervt von Schatten, Visionen, Gespenstern, Verfolgern und sicher auch Wahnvorstellungen.
Sie verließ den Seidenladen, nahm kein Taxi, sondern wählte ein Tuc-Tuc, eine motorisierte Dreirad-Rikscha, Bangkoks lautestes und stinkigstes Beförderungsmittel, und merkte schon beim Anfahren, daß sie sich in ein weiteres Abenteuer gestürzt hatte.
Das Tuc-Tuc hielt vor der Nobelherberge.
Der Portier half ihr mit entsetztem Gesicht aus dem Gefährt. »Sanuk«, erklärte sie lächelnd und gab ihm ein Trinkgeld. »Spaß.«
Ladda, das hübsche Blumenmädchen, nickte ihr zu, und Dany hatte Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit unbefangen zu erwidern. An einem Tisch saß Persulke, trank Cocktails und sortierte einen Fotostapel exotischer Schönheiten: Die ersten Offerten auf sein Lockinserat mußten eingegangen sein. Im Vorbeigehen machte sich Dany klar, daß auch der Mädchenhändler gefährlich lebte, da der einschlägige Markt straff von einheimischen Zuhältern beherrscht wurde. Schon mancher Einkäufer, der sich zu weit vorgewagt hatte, war wegen seiner
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