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Die Stadt der Engel

Die Stadt der Engel

Titel: Die Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Millionenerbin zum Lift, ein Aussteiger, der durch die Übermacht des Geldes wieder zum Einstieg gezwungen werden sollte.
    Die Versuchung näherte sich Ferry wie eine scheinheilige Fee, denn FENRICH & PARTNER würden an dem Bauvorhaben des Lackmittelkonzerns so viel verdienen, daß alle wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinter seiner Firma lägen.
    Paul Garella verfolgte an seinem geheimen Befehlsstand am Siam Square – er hatte ihn seit Betreten nicht mehr verlassen – die Radiomeldungen. Die Hochspannung entlud sich. Mit der gleichen Präzision, mit der Vietnams-Bonsai-Soldaten die Amerikaner zum Rückzug aus Saigon gezwungen hatten, berannten sie jetzt mit Panzern, Raketen und Sturmeinheiten schlagartig die grenznahen Stützpunkte der Rebellen. Das unglückliche Land der Khmer lag wieder im Feuerhagel, und wie immer zahlte die Zivilbevölkerung die Blutzeche.
    Kambodschas Leiden hatten während des Vietnamkrieges mit dem verhängnisvollen Entschluß des US-Präsidenten begonnen, das Land zu bombardieren, um die Vietkong-Nachschublinien zu zerstören. Das brutale, völkerrechtswidrige Pol Pot und seine Clique an die Macht, Stalinisten, die nach der Rezeptur handelten, Unterworfene gleich umzubringen, statt sie ›umzuerziehen‹. Die Hauptstadt Phnom Penh wurde zwangsgeräumt; zu Zehntausenden kam die Bevölkerung der Metropole durch Hunger, Durst und Gewalt um. Religionsverbot für den Buddhismus. Der blutige Terror dauerte vier Jahre, dann fielen 1979 die Vietnamesen in Kambodscha ein, stürzten die Pol-Pot-Bande, und das Land der Khmer kam von der Traufe in den Regen. Eine Marionettenregierung wurde eingesetzt, ein paar Pagoden wieder geöffnet. Bald machten sich die zunächst als Befreier begrüßten Vietnamesen verhaßt. Sie saugten das Land aus, besetzten es nach und nach, sickerten zu Hunderttausenden ein, heirateten Khmerfrauen – unter Ausnutzung des krassen Frauenüberschusses: 60 zu 40. Es war klar, daß die 60 Millionen Vietnamesen die sechseinhalb Millionen Kambodschaner genauso absorbieren und ihrem roten Großreich einverleiben wollten wie weiter nördlich die Dreimillionenbevölkerung von Laos.
    Die Schrecken der Gegenwart ließen den Horror der Vergangenheit vergessen. Die Bevölkerung begann, die unter dem Decknamen demokratisches Kambodscha vereinte Guerilla zu unterstützen – Neutralisten des Prinzen Sihanouk, Truppen des Bürgerlichen Son Sann, aber auch Pol-Pot-Schergen. Fotos Tausender von Totenschädeln und Gebeinen der Ermordeten waren um die ganze Welt gegangen. Nunmehr behauptete eine geschickte Flüsterpropaganda, es handelte sich dabei gar nicht um Pol-Pot-Opfer, sondern die Yuon hätten auf südvietnamesischen Soldatenfriedhöfen die Totenschädel eingesammelt und bei Nacht heimlich als Scheinbeweise für die Grausamkeit der Roten Khmer über die Grenze gebracht, um einen Vorwand für die Besetzung zu haben.
    Garella kannte das Nachbarland von mehreren Einsätzen her. Der kambodschanische Poker wurde mit gezinkten, blutigen Karten gespielt. Weil die Sowjets die Vietnamesen unterstützten – und dafür Marinestützpunkte und Flughäfen erhielten –, halfen die Chinesen den Roten Khmer. Auch die Amerikaner näherten sich den Pol-Pot-Fanatikern, trotz der Millionen-Verbrechen, die sie verübt hatten: Politik und Moral sind zwei Paar Stiefel.
    Die so genannten Asean-Länder (Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, die Philippinen und das Fürstentum Brunei) bestanden ebenso wie die Kambodschaner auf der Unabhängigkeit des Landes; aber die Selbstbestimmung der Völker ist seit Jalta und Potsdam ein Fetzen Papier. Die Kambodscha-Frage erweist sich in Asien-Südost als das Gegenstück zum Palästinaproblem in Nahost: Machtpolitik verschiedener Interessengruppen erhält beide Krisenherde am Kochen.
    Die Militär-Experten zweifelten nicht daran, daß die Besatzungsarmee Hanois, 180.000 Soldaten, diesmal die Lager der Aufständischen längs der Grenze liquidieren würden. Ganze Rudel von Flüchtlingen, die nur das nackte Leben retten konnten, fluteten über die Grenze. Ihr Strom schwoll an wie Hochwasser. Schon im ersten Anlauf wurden fast 50.000 Heimatlose in den Auffanglagern registriert. Die Menschenlawine aus dem Osten war auch eine einzigartige Gelegenheit für die kommunistischen Staaten, Agenten und Saboteure in das Land der Freien einzuschleusen. Die Vietnamesen würden stets versuchen, Thailand als letzten Dominostein einem von ihnen beherrschten Indochina einzuverleiben.

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