Die Stadt der Engel
mit langen Zähnen.
»Was ist mit Predi?« fragte Garella.
»Ich fahre jetzt gleich los und hole ihn her, ob Doktor Somboon damit einverstanden ist oder nicht.«
Der Offizier trug den Kopf erheblich höher als im Landesmaß üblich, unter Liliputanern war er ein Riese, und dieser Zufall erleichterte Garella die Zusammenarbeit mit ihm. Es gilt in Thailand als absolut unhöflich, jemanden von oben anzusehen. Ist es unvermeidlich, muß man es, wie auch immer, kaschieren. Das nach Japan und Taiwan modernste Land in Fernost, tolerant und gastfreundlich, hält an Traditionen fest, die westliche Besucher nicht selten lächerlich finden: Da der Kopf als Summe des Körpers und die Beine als seine minderwertigsten Organe gelten, gibt es zum Beispiel in Bangkok fast keine Schuhputzer, und die Friseursalons sind weit überteuert. Daß sich in dieser Region das Schlagwort vom ›häßlichen Amerikaner‹ so rasch durchsetzte, hing fraglos damit zusammen, daß die Yankees die Beine bequem auf den Schreibtisch zu legen pflegen, dem Besucher entgegengestreckt, was im Land der Sonne und der Liebe als Beleidigung gilt.
»Noch etwas zu besprechen?« fragte Garella.
»Ja«, versetzte der agile Major. »Wissen Sie, wo sich die drei CIA-Agenten Tom, Jim und Hilary aufhalten?«
»Vermutlich sind sie längst wieder zu Hause«, erwiderte Garella, betont uninteressiert.
»Dann müßten sie aber durch den Pazifik geschwommen sein«, stellte der Major fest. »Ich habe den Airport systematisch überwachen lassen.«
»Dann sind sie vielleicht noch hier«, entgegnete der Topagent aufreizend gleichgültig. »Seit wann hätten es Männer eilig, die Stadt der Engel zu verlassen?«
»Es sind Agenten.«
»Agenten sind auch Männer«, versetzte Garella und grinste, wobei seine Narbe zur Triangel wurde.
Vasatrana gab Anweisung, zwei Räume als Pflegestation für Predi herzurichten. »So long«, verabschiedete er sich dann.
Paul Garella saß an seinem Schreibtisch. Er konnte mit der Entwicklung zufrieden sein – und war es nicht. Irgend etwas war faul, sagte er sich; es war mehr Intuition als Vision. Er zwängte sich durch das Labyrinth seiner Gedanken: Daß der Gegner im Dunkel sein Ableben so ohne weiteres hinnahm, war unnatürlich.
War ihm Sulla womöglich einen Schritt voraus? Wußte er, daß der Petrowski-Entführer noch lebte, kannte womöglich seine Identität und benutzte ihn zu einer groß angelegten Desinformation, bevor er ihn auslöschte? Saß er in der Falle, in die er Sulla locken wollte? Hatte nicht überhaupt seine Fahndung eine falsche Stoßrichtung? Befasste er sich zu viel mit Rauschgift und zu wenig mit dem Maulwurf, auch wenn beides eng zusammenhing?
Garella versuchte, diese Gedanken als Hirngespinste abzutun. Es mißlang ihm gründlich. Immer wieder setzte er die Ereignisse zusammen, veränderte sie willkürlich, suchte eine Fehlerquelle, aber er kam nicht weit. Seine gedankliche Konstruktion glich verzweifelt einer Puppe mit falsch eingehängten Armen und Beinen.
Garella sah auf die Uhr.
Der Krankentransport schien schwierig zu sein, schon über eine Stunde war seit Vasatranas Abgang verstrichen.
Auf einmal kam Garella die Vision, daß er Predi nie zu Gesicht bekommen würde. Er riß der Puppe gewaltsam Arme und Beine aus und setzte sie richtig ein. Er handelte spontan, aus dem Instinkt heraus, der es ihm ermöglicht hatte, in vorderste Linie siebzehn Jahre Untergrund zu überleben.
Zuerst rief Garella das New Palace, ein Gardinen-Hotel der Spitzenklasse, an der Surawong Road an und ließ sich ein Apartment reservieren. Dann ging er zur Tür, stellte fest, daß er keine Lauscher hatte, was ihm aber wenig nutzte, falls sein Telefon abgehört wurde.
Er wählte die Nummer der US-Botschaft und verlangte Carol Dexter. »Ich habe zwei Eilaufträge für Sie«, begann er.
Ganz in der Nähe von Garellas noblem Schlupfwinkel betrat drei Minuten vor zehn Uhr Ferry die Halle des Siam Intercontinental wie ein Torero die Arena, wiewohl er wußte, daß es schon manchem Stier gelungen war, den Matador zu erledigen.
»Sie werden in Suite eins erwartet, Sir«, sagte der Rezeptionist. »In der obersten Etage.«
Ferry klopfte, trat ein und fing Clarissas Lächeln auf wie einen Ball, ohne ihn zurückzuwerfen. Zum zweiten Mal an diesem Morgen nahm er Platz am Frühstückstisch einer schönen Frau. Er schnupperte die ›Clarissa Day‹-Duftnote. Von allen Attitüden ihres Reichtums hatte er offensichtlich den sündteuren Wohlgeruch
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