Die Stadt der Heiligen (German Edition)
stolz auf Euch gewesen.» Der Bürgermeister, Konrad von dem Eichhorn, ein breitschultriger Mann jenseits der vierzig, dessen graues Haar und Bart säuberlich gestutzt waren und der selbst im Sommer eine Vorliebe für pelzverbrämte Mäntel hatte, schlug Bardolf gönnerhaft auf die Schulter. Sie waren gerade auf dem Weg vom Dom über den Kaxhof zum Rathaus, wo es eine Feier zum Abschluss der Heiltumsweisung gab.
Bardolf hatte, zusammen mit dem Eisenschmied und unter der Aufsicht von Stadtratgesandten und Kanonikern, den Marienschrein, in dem die kostbaren Reliquien aufbewahrt wurden, mit einem neuen Schloss versehen und dieses ordnungsgemäß mit Blei ausgegossen. Der Schlüssel zu dem Schloss war zerschnitten worden; eine Hälfte erhielt das Marienstift, die andere Hälfte bewahrte der Aachener Rat bis zur nächsten Heiltumsweisung auf.
Mit dem Überreichen der Schlüsselhälften war die offizielle Zeremonie beendet, und Bardolf hoffte, das nun folgende Bankett schnellstmöglich verlassen zu können.
Obwohl längst bekannt war, dass er sich mit Jolánda verlobt hatte, war ihm die Ehre der Schreinschließung nicht streitig gemacht worden. Die meisten Ratsherren und Schöffen standen hinter Marysa und ihrer Familie, auch wenn die Beweise und Zeugenaussagen derzeit gegen sie sprachen. Jolánda war seit Tagen kaum mehr ansprechbar. Sie grämte sich fürchterlich, dass ihre Tochter in Haft genommen worden war.
«Ich vermute, wir werden heute auf Eure Gesellschaft verzichten müssen, wie?» Der Bürgermeister blieb vor dem Rathauseingang stehen. Sein Blick drückte Mitgefühl aus. «Ich verstehe Euch. Eine schlimme Sache ist das. Ich kenne Marysa schon, seit sie auf der Welt ist. Richtet ihrer Mutter bitte meine besten Grüße aus und dass ich mich für Marysa einsetzen werde, wo ich nur kann.»
«Ich danke Euch.» Bardolf lächelte schwach. «Ich werde in der Tat nicht lange bleiben. Nur kurz die anwesenden Gäste begrüßen.»
«Dann kommt mal mit.» Der Bürgermeister ließ ihm den Vortritt, und gemeinsam gingen sie in den großen Festsaal des Rathauses.
Eine lange u-förmige Tafel beherrschte den Saal. Die Leuchter an der Decke erstrahlten von unzähligen Kerzen. Auf den Tischen blinkten silberne Schüsseln und Krüge mit den feinsten Speisen; dazwischen waren mehrere Schaugerichte ausgestellt: ein Pfau, dem man die Federn wieder angesteckt hatte, ein Schiff aus Pastetenteig und eine Nachbildung des Marienschreins aus teurem Marzipan.
Mehr als die Hälfte der Tische war bereits besetzt; nach und nach strömten immer mehr Männer und Frauen in den Raum. Es handelte sich hauptsächlich um die Ratsmitglieder und Schöffen mit ihren Ehefrauen, verschiedene Zunftmeister sowie natürlich die ranghöchsten Kanoniker des Marienstifts. Auch der Gemeindepfarrer, Vater Ignatius, war eingeladen worden. Bardolf konnte ihn jedoch nirgends entdecken.
Stattdessen erblickte er an einem der Tische Bruder Christophorus. Er saß neben zwei weiteren Dominikanern, einer von ihnen war vermutlich der Prior des Aachener Dominikanerkonvents. Bardolf nickte ihm zu und ließ sich vom Bürgermeister zu einem Tisch in der Nähe der Kanoniker Scheiffart und van Kettenyss führen. Unauffällig musterte er Johann Scheiffart. Sollte dies wirklich der Mann sein, der zwei Menschenleben auf dem Gewissen hatte? Ganz zu schweigen von den Problemen, die er Marysa bereitete? Vorstellbar war es. Der Domherr besaß ein feistes Gesicht, und seine Augen blickten reichlich verschlagen in die Welt. Und seine Anwesenheit bei diesem Bankett war durchaus als Demonstration seiner Stärke und Macht anzusehen. Immerhin stand die Anklage Reinolds gegen ihn noch im Raum.
Ulrich van Kettenyss, Scheiffarts Stellvertreter während der Heiltumsweisung, unterhielt sich mit einem großen hageren Mönch im Habit der Augustiner. Ihn hatte Bardolf noch nicht gesehen. Handelte es sich womöglich um jenen Theophilus?
Bardolf nahm nur zwei Plätze von ihm entfernt Platz.
Der Saal hatte sich inzwischen gefüllt; fast alle Plätze an der Tafel waren besetzt. Nach einer kurzen Begrüßungsrede des Bürgermeisters, in der er den Erfolg der Kirmes und die vortreffliche Zusammenarbeit von Stadtrat und Marienstift während der Heiltumsweisung herausstellte, begann das Bankett.
Bardolf nahm sich etwas von dem Braten und überlegte, während er aß, wie lange er warten sollte, bis er die Feier verlassen konnte, ohne dass es unhöflich wirkte. Um ihn herum wurde laut
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