Die Stadt der Heiligen (German Edition)
eingesperrt?» Johann Scheiffart sah Christophorus aufmerksam an. Nachdem dieser Marysa nach Hause zurückbegleitet hatte, war er zum Marienstift gegangen und hatte um eine weitere Unterredung mit dem Kanoniker gebeten. Scheiffart hatte ihn daraufhin eingeladen, mit dem Stiftskapitel zu Abend zu essen, und nun saß Christophorus an der langen Tafel im Refektorium ziemlich nahe beim Dechanten, der, wie auch die anderen Kanoniker, seinen Ausführungen mit großem Interesse gefolgt war.
«Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass er seinen Gesellen erschlagen hat. Es gibt keinerlei Hinweise auf einen Streit oder gar Kampf. Und auch in der Familie ist nichts von Unstimmigkeiten zwischen den beiden bekannt», fasste Christophorus seine Argumente noch einmal zusammen. «Zeugen für die Tat gibt es nicht, oder zumindest wurden bisher keine gefunden. Man sollte meiner Meinung nach also Sorge dafür tragen, dass der Mann freigelassen wird.»
Scheiffart nickte. «Wir warten die morgige Haussuchung noch ab. Sollte sich dabei kein Hinweis finden, dass Markwardt falsche Reliquien besitzt, werden wir die Schöffen bitten, ihn freizulassen.»
«Weshalb wurde das Haus nicht sofort durchsucht?», mischte sich der Dechant, ein breitschultriger Mann mit enormem Bauchansatz und eisgrauem Haar, ein. «Müssen wir nicht davon ausgehen, dass die Ehefrau inzwischen alle Beweise, so es welche gibt, beseitigt hat?»
«Ein gutes Argument», bestätigte Scheiffart. «Doch leider waren uns die Hände gebunden. Das Schöffenkolleg besteht auf der Durchführung der Haussuchung durch städtische Amtmänner. Aber wir haben Michael und Fulrad ausgeschickt, das Haus unauffällig im Auge zu behalten. Bislang haben sie keine auffälligen Tätigkeiten beobachtet.»
«So, nun gut.» Der Dechant widmete sich wieder dem Stück Gänsebraten auf seinem Teller.
«Wie man hört, seid Ihr als Ablassprediger unterwegs», wechselte Scheiffart das Thema. «Bruder Bartholomäus berichtete mir, Ihr wäret vom Heiligen Vater selbst in dieses Amt eingesetzt worden?»
«Das ist richtig», antwortete Christophorus.
«Ihr seid noch recht jung, will mir scheinen, wenn man bedenkt, mit welch wichtigen Aufgaben man Euch betraut hat.»
«Auch das ist richtig», wiederholte Christophorus mit ernster Miene. «Nach dem Studium der Theologie und des Kirchenrechts hatte ich das Glück, vom Prior meines damaligen Ordenshauses auf eine Reise ins ferne Rom geschickt zu werden. Auf dem Weg dorthin konnte ich mehrmals bei Gerichtsverfahren mit meinem Rat helfen, und dies wurde dem Heiligen Vater zugetragen, der mich daraufhin zu einer Audienz empfing.»
Am Tisch wurde ehrfürchtiges Raunen laut, welches Christophorus erleichtert zur Kenntnis nahm. Da sie ihm die Geschichte offenbar abnahmen, fuhr er fort: «Er lud mich ein, in Rom zu bleiben. Mir hätte eine aussichtsreiche Stellung im Gefolge des Papstes gewinkt, doch ich lehnte ab, da ich zu jenem Zeitpunkt bereits eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela und ins Heilige Land gelobt hatte. Diese führte ich, mit seinem Segen, dann auch durch. Und er stattete mich mit einer von ihm höchstselbst gezeichneten und gesiegelten Bulle aus, die mich befugt, den Handel mit Ablassbriefen zu betreiben.»
«Und seither habt Ihr auch weiterhin als Inquisitor bei Urteilen der kirchlichen Gerichtsbarkeit beigewohnt?», hakte Scheiffart nach, und man sah ihm an, dass er Christophorus beneidete.
Dieser nickte beiläufig. «Hin und wieder, jedoch meist nur bei unwichtigen Gerichtsurteilen. In Regensburg durfte ich allerdings einem Prozess wegen Ketzerei beiwohnen.»
«Tatsächlich?» Nun hob auch der Dechant wieder den Kopf. «Wollt Ihr uns darüber berichten?»
«Sehr gerne.» Christophorus neigte den Kopf, um seine Erheiterung zu verbergen, und begann zu erzählen.
Zwei Stunden später verließ er das Refektorium des Marienstifts und ließ sich von einem der Schreiber zum Ausgang führen. Er hatte das Angebot, die Nacht hier zu verbringen, dankend abgelehnt und darauf hingewiesen, dass er zur Laudes gerne im Kreise seiner Ordensbrüder beten wolle.
Er überquerte den Vorplatz des Augustinerklosters und bog dann in die Klappergasse ein, die wenig später in die St. Jakobstraße mündete. Es war bereits nach Mitternacht; keine christliche Zeit, um noch durch die Straßen der Stadt zu wandern. Er bahnte sich seinen Weg zwischen Abfällen, die die Rinnsteine verstopften, und den Schlaflagern etlicher Pilger hindurch. Aus einem
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