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Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Titel: Die Stadt der Heiligen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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Christophorus erblickte, stand er trotz seiner Krücke erstaunlich behände auf und kam auf ihn zu.
***
    Marysa drängte sich mit Grimold durch die Pilgermassen auf dem Parvisch in Richtung Marktplatz. Reinold war wie verabredet nach der Heiltumsweisung, die sie ganz aus der Nähe hatten beobachten können, beim Dom geblieben und kümmerte sich mit Jaromir um seinen Verkaufsstand. Die Schreine und Reliquiare, die er feilbieten wollte, hatte er am Vorabend in einem der Stiftshäuser am Parvisch deponiert, damit er gleich nach der Messe mit dem Verkauf beginnen konnte.
    Marysa oblag es nun, an dem traditionellen Kirmes-Bankett im Zunfthaus der Schreiner teilzunehmen. In Anbetracht der Tatsache, dass Reinold nicht dabei sein würde, freute sie sich inzwischen sogar schon ein wenig darauf, endlich einmal wieder in Gesellschaft zu kommen.
    Der Parvisch war jedoch dermaßen mit Menschen überfüllt, dass sie Grimold bedeutete, an den Rand des Platzes auszuweichen, um zu schauen, ob dort ein besseres Durchkommen wäre. «Geh du vor, Grimold», sagte sie. «Du bist größer als ich und kannst die Leute besser dazu bringen, uns Platz zu machen.»
    Als sie in einiger Entfernung Bruder Christophorus erblickte, blieb sie stehen. Er wandte ihr den Rücken zu, doch seine hochgewachsene breitschultrige Gestalt erkannte sie dennoch sofort wieder. Das war auch so eine Sache, die sie an ihm irritierte. Er war weder so schwammig und wohlbeleibt wie die meisten Mönche, die sie bisher gesehen hatte, noch wirkte er ausgehungert und ätherisch wie die wenigen wahren Erleuchteten, die dem geistlichen Stand alle Ehre machten. Vielmehr schien es ihr, als passe er nicht recht in sein weißes, am Saum stark verstaubtes Habit. Nicht dass es ihm zu eng wäre, doch je länger sie ihn betrachtete, desto mehr hatte sie das Gefühl, dass dieser Mann nicht das war, was er zu sein vorgab.
    Sie wollte schon weitergehen, doch da hörte sie eine helle Frauenstimme seinen Namen rufen. Nur Augenblicke später flog ein zierlicher Wirbelwind auf ihn zu und umarmte ihn übermütig.
    Was Marysa jedoch noch mehr erstaunte, war, dass der Dominikaner die Umarmung für den Bruchteil einer Sekunde erwiderte, bevor er die stürmische kleine Person von sich schob.
    Es handelte sich offenbar um eine junge Gauklerin. Das schloss Marysa jedenfalls aus dem buntgemusterten und auf fremdländische Weise geschnittenen Kleid und dem unbedeckten schwarzen Haar, das ihr in einem mit farbigen Bändern durchflochtenen Zopf bis weit auf den Rücken fiel. Auf dem Kopf trug sie lediglich ein schmales Schapel in den Farben ihres Kleides.
    Marysa beobachtete, wie die beiden sich kurz unterhielten, dabei entging ihr auch nicht der sehnsüchtige Blick, den die junge Frau – sie war höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt – dem Dominikaner zuwarf.
    Sie lachte, er erwiderte etwas. Und dann blieb Marysa beinahe das Herz stehen, als sie sah, wie Bruder Christophorus der Fremden sanft über die Wange strich. Er sagte noch etwas, sie antwortete lächelnd, dann machte er ihr ein Kreuzzeichen auf die Stirn und ging davon. Die kleine Gauklerin blickte ihm einen Moment lang nach, dann verschwand auch sie in der Menge.
    Marysas Herz begann plötzlich, schnell und hart gegen ihre Rippen zu schlagen. Was hatte sie da gerade eben beobachtet? Aus unerfindlichen Gründen rauschte ihr das Blut in den Ohren und schien geradezu durch ihre Adern zu rasen, dass es bis in ihre Fingerspitzen kribbelte. Wer war dieses Mädchen, und was hatte der Dominikaner mit ihr zu schaffen? Ablasskrämer hin und Inquisitor her, Marysa wusste natürlich, dass selbst die nach außen hin frömmsten Geistlichen oftmals unter die Röcke von gewissen Frauen schlüpften, sobald die Sonne untergegangen war und die Nacht ihre Sünden beschattete. Aber am helllichten Tage mitten auf dem Parvisch?
    Marysas Herzschlag beruhigte sich nur langsam, und das ärgerte sie. Warum reagierte sie so heftig auf diese Entdeckung? Es konnte ihr doch gleich sein, was dieser Klosterbruder trieb. Auch wenn er Aldos Freund gewesen war, ging sie das nichts an.
    Sie runzelte die Stirn. War das vielleicht überhaupt der Grund gewesen, dass Aldo sich mit Bruder Christophorus angefreundet hatte? Weil der die strenge Zucht der Klosterregeln brach und sich mit Frauen vergnügte? Das wäre durchaus nach Aldos Geschmack gewesen.
    Andererseits wollte diese Vorstellung nicht in ihr, zugegebenermaßen nicht sehr vollständiges Bild von dem Dominikaner

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