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Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Titel: Die Stadt der Heiligen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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ihr der Schweiß auf die Stirn trat. Irgendwo in der Nähe verströmte jemand einen unangenehmen Knoblauchgeruch, und ein Mann neben ihr stank nach schalem Wein. Marysa verlegte sich darauf, mehr durch den Mund zu atmen, doch dadurch trocknete ihr schnell die Kehle aus.
    Endlich vernahm sie über dem Stimmengewirr das Klingeln der Glöckchen, das den Einzug des Priesters und der Kanoniker des Marienstiftes ankündigte.

23. Kapitel
    C hristophorus wartete nicht auf das «Dominus Vobiscum», mit dem der Priester die heilige Messe beschloss, sondern schob sich an der steinernen Außenwand entlang in Richtung Ausgang. Als er es endlich bis hinaus geschafft hatte, ertönte im Innern des Doms noch einmal der vielstimmige Chor von Augustinermönchen, die zu Gottes Lobpreisung ein letztes Lied anstimmten.
    Aufatmend reckte Christophorus sich. Vor dem Portal und auf dem gesamten Parvisch drängten sich unzählige Menschen Schulter an Schulter; er konnte die von Frömmigkeit und ungeduldiger Erwartung aufgeheizte Stimmung geradezu körperlich spüren.
    Ein Durchkommen war hier allerdings fast nicht mehr möglich. Wie schon im Dom versuchte er, sich am Rand des Platzes entlang einen Weg zu bahnen. Als er auf diese Weise bis zu der Stelle gelangt war, an dem einer der Opferstöcke aufgebaut war, ging ein deutlich vernehmbares Raunen durch die Menge. Im nächsten Moment läutete im Dom die Heiltumsglocke und kündigte damit den Beginn der heiligen Zeremonie an.
    Christophorus blieb stehen und blickte, wie alle anderen Gläubigen auf dem Parvisch, hinauf zu der Galerie, die das Oktogon des Doms umgab und auf der nun ein Kanoniker erschien und die Zeigung der Reliquien ankündigte. Von seinem Stadtpunkt aus konnte Christophorus die Zeremonie recht gut erkennen. Chorknaben mit Fackeln zogen auf die Galerie; ihnen folgten mehrere Domherren, alle in reiche Gewänder gehüllt, und zwei weitere Geistliche, die auf ihren Schultern lange Stäbe trugen, über denen die kostbaren Heiltümer drapiert waren.
    «Seht, das sind die Kleider unserer geliebten Gottesmutter und des Heilands!», schrie jemand mit schriller Stimme. Wieder ging ein Raunen durch die Menge, dann legte sich nach und nach eine erwartungsvolle Stille über den Parvisch und die angrenzenden Plätze der Stadt. Wie eine mystische Welle breitete sich die andächtige Ruhe über die Pilger aus.
    Christophorus konnte nicht umhin, wie gebannt zur Galerie hinaufzustarren. Fetzen der Erinnerung aus seiner Kindheit, in der er die Heiltumsweisung schon einmal miterlebt hatte, stiegen in ihm auf. Dennoch kam es ihm so vor, als sehe er all dies zum ersten Mal, und eine merkwürdige Aufregung überkam ihn, die bis in seine Fingerspitzen prickelte.
    Zwei Kanoniker, nach altem Ritus der Dechant und der älteste der Stiftsherren, entfalteten die wertvollen Reliquien. Der Dechant legte zunächst das Kleid Mariens, welches diese angeblich am Tage von Christi Geburt getragen hatte, auf eines der mit Seide geschützten Wachstücher auf der Brüstung. Die Wachstücher hingen schon seit einigen Tagen an den Stellen der Galerie, wo die Reliquien gezeigt werden sollten, und kündeten somit lange im Voraus von den heiligen Handlungen.
    Die Galerie befand sich in großer Höhe, und damit die Reliquien dort oben nicht im Wind wehten, kamen zwei jüngere Geistliche herbei und drückten das Kleid mit langen Stangen gegen die Brüstung.
    Als die Gläubigen auf dem Parvisch die Reliquie erblickten, ging ein Jubelschrei durch die Menge. Im nächsten Augenblick fielen die Menschen auf die Knie, und diejenigen, die im Besitz eines Achhorns waren, bliesen darauf mit voller Kraft.
    Christophorus, der ebenfalls in die Knie gegangen war, spürte, wie sich eine Gänsehaut über seinen Körper ausbreitete. Aus nah und fern tönten in unvorstellbarer Lautstärke tausend und abertausend Pilgerhörner, dass es ihm in den Ohren dröhnte. Ganz in seiner Nähe begann eine Frau hemmungslos zu schluchzen. Ob vor Freude über den Anblick der Reliquie oder wegen des Lärms, war nicht auszumachen.
    Als die Hörner nach und nach wieder verstummten, begann der Dechant mit einem Dankgebet, welches von einem Ausrufer mit enormer Stimmgewalt für die Gläubigen wiederholt wurde. Die Worte waren erstaunlich gut zu verstehen: «Man soll euch zeigen das Hemd, das heilige Kleid, das Maria, die Mutter Gottes, anhatte in der heiligen Christnacht, da unser lieber Herr Jesus Christus Gott und den Menschen zur Ehre geboren ward. Darum

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