Die Stadt der Könige: Der geheime Schlüssel - Band 2 (kostenlos bis 14.07.2013) (German Edition)
linker Hand ergoss sich ein hauchfeiner Wasservorhang. Die weißen Säulen lagen nun abgebrochen überall, verstopften den schmalen Abfluss des künstlichen Wasserfalls und verhinderten das Versickern des Wassers. Der Matsch schmatzte bei jedem Schritt. Es sah verheerend aus, doch zumindest dieser Schaden konnte behoben werden, denn der Pfad war von Elbenhand geformt worden.
Nach und nach fiel Rond´taro die unnatürliche Stille auf. Für gewöhnlich empfing den Besucher das Rauschen der dreizehn Wasserfälle, die den Gläsernen See im Herzen der Halle der Erkenntnis speisten, lange bevor er die Halle erreichte. Auch fehlte das matte Licht, das durch unzählige kleine Öffnungen in die Tiefe drang. Die Luft roch süßlich mit einem widerlich beißenden Beigeschmack von Moder und Schimmel.
Dann betraten sie die Halle. Da wo der See verheißend hätte liegen sollen, zerstörte eine verunreinigte Schlammpfütze Rond´taros Hoffnung hier mit Ala´na in Verbindung treten zu können. Sie kamen viel zu spät. Die Halle der Erkenntnis war tot. Der silberhelle Klang, der diesen Raum belebt hatte, verwandelt in ein verzerrtes Zischen. Keiner der fadendünnen Wasserfälle sprang mehr aus dem himmelsgleichen Firmament. Der düstere Raum roch nach Verwesung.
Gebannt vor Grauen und sprachlos starrten sie auf das Ausmaß der Verwüstung.
Einst konnte man in dieser Halle zu Einsicht, zu Ruhe und zu sich selbst finden. Der Gläserne See, wenn auch von Elbenhand angelegt, war ein Spiegel gewesen. Jahrtausende lang hatte er an diesem stillen Ort unter dem Berg geruht.
Rond´taro hatte genug gesehen. Diese Schäden auch nur teilweise zu beseitigen, würde Jahrhunderte dauern. Die Magie dieses Ortes war für alle Zeit verloren.
Rina´la weinte leise an Mitril´les Schulter. Die hatte ihre Augen geschlossen, ihre Unterlippe bebte. Lilli´de zitterte vor Fassungslosigkeit. Fire´nol und Mendu´nor, die diesen Ort nur aus Erzählungen kannten, sahen sich mit großen Augen um, als ob sie hofften, etwas aus den alten Berichten wiederzuerkennen. Alrand´do hatte seinen Geist verschlossen aber Rond´taro fühlte die unbändige Wut, die in seinem Sohn brodelte. Einige Augenblicke lang fürchtete er, Alrand‘do könne seine Macht bündeln und die Halle zum Einsturz bringen. Er selbst spürte diesen Zorn in sich und gleichzeitig übermächtige Trauer.
Bilder aus der Vergangenheit zogen an ihm vorbei. Er sah sich selbst, als er mit seiner Mutter zum ersten Mal die Halle betrat. Wie er viele Jahre später jedes seiner Kinder hierher brachte. Er sah Ala´na, die mit strahlenden Augen vor dem Gläsernen See stand. Der Schimmer ihrer Stärke war ihm an diesem Ort noch viel greifbarer erschienen und hätte er nicht bereits für sie gebrannt, wäre er ihr spätestens an jenem Tag, an diesem Ort, restlos verfallen. Dieser See hatte es vermocht, das Schönste und Edelste zum Vorschein zu bringen. Nur hier konnte man zu wahrer Einsicht gelangen und in Stunden schwerer Zweifel Ruhe und Einsicht in sich finden. Hier hatte Rond´taro vor tausend Jahren mit sich und dem Schicksal gehadert und war schließlich gestärkt vor den Rat getreten. Hier ereilte ihn die Erkenntnis, dass das Schicksal der Elben in Ardea´lia noch nicht besiegelt sein konnte.
Jetzt, da dieser Ort vernichtet vor ihm lag, sah er darin das endgültige Zeichen, dass sich ihre Zeit in diesem Teil der Welt zu Ende neigte. Fast unbemerkt verwandelten sich die Bilder der Vergangenheit in Bilder der Zukunft.
Rond´taro sah Schiffe über das Meer gleiten. Viele vertraute Gesichter verschwanden mit ihnen hinter dem Horizont. Sein Herz schlug dumpf und schwer, denn er wusste, dass seine Bestimmung hier wartete. Niemals konnte er eines dieser Schiffe betreten. Kein anderes Ufer würde er lebendig erreichen. Seine Wurzeln rankten sich tief und fest in diesen Boden. Schon als junger Baum hätte er nicht verpflanzt werden können. Er war in Ardea´lia geboren und von hier musste er eines Tages nach As´gard aufbrechen. Es gab keine Hoffnung. Tot wurde er von einem Schlachtfeld getragen. Das Schicksal der Elben und der Menschen blieb durch seinen Tod unbeeinflusst. Er starb als Namenloser. Einer von vielen. Ohne Freunde und hoffnungslos …
Alrand´do legte ihm beide Hände auf die Schultern. „ Das ist nicht die Wahrheit. Glaube keiner deiner Eingebungen. Du stehst an einem Ort der Macht, aber alles, was von ihm blieb, ist Hass. Glaube ihm nicht, diesem verunreinigten Tümpel !“
Rond´taro
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