Die Stadt der schwarzen Schwestern
Rink legte die Stirn in Falten. «Dieser Plan ist, mit Verlaub, auch der größte Blödsinn, den sich je ein Mensch ausgedacht hat. Verzeih mir, alter Freund, aber ich begreife einfach nicht, welcher Teufel dich hierbei geritten hat. Seit dem Tod deiner Frau machst du einen Fehler nach dem anderen. Die ganze Stadt spricht darüber, dass dein Weinhandel in Schwierigkeiten steckt, weil du Absprachen vergisst, Fristen versäumst und Verträge nicht einhältst. Erst kürzlich hast du dir eine Fuhre Essig andrehen lassen, den nicht einmal ein Hund saufen würde. Und nun auch noch das. Die Entführung eines Brüsseler Advokaten und seines Enkelsohns kann dich an den Galgen bringen.»
«Ach was», winkte de Lijs nervös ab. «Ich war vorsichtig. Kein Mensch bringt mich mit seinem Verschwinden in Verbindung. Die Leute denken, er habe die Stadt wieder verlassen. Wer weiß, vielleicht bin ich dem Statthalter ja nur zuvorgekommen. Er scheint nicht mehr viel von seinem ehemaligen Vertrauten de Reon zu halten. Mich macht nur wahnsinnig, dass ich keinen blassen Schimmer habe, wo diese Tölpel den Kerl hingebracht haben. Die Brüder sind auf und davon, vielleicht schon längst in Brüssel, um nach Griet und Don Luis zu suchen. Ich war bereits in ihrem Haus, aber dort weiß niemand etwas. Nicht einmal ihre Schwester konnte mir weiterhelfen. Und die Pferde der beiden stehen im Stall. Meine Hoffnung war, sie könnten sich bei dir gemeldet haben.»
Pieter Rink lachte. «Ausgerechnet bei mir? Diese hochnäsigen Burschen haben immer auf mich herabgesehen, weil mir Druckerschwärze unter den Nägeln klebt. Ihr Vater, der alte Bürgermeister, war kein bisschen besser. Noch nicht einmal deine Freundschaft zu mir hat daran etwas geändert.» Die Augen des Druckers verengten sich. «Ich bin froh, dass sie fort sind, und du solltest das auch sein. Sie haben dich nur in schmutzige Dinge hineingezogen.»
De Lijs seufzte. Pieter Rink hatte recht, doch darauf kam es im Moment nicht an. Er ertappte sich bei dem Wunsch, sich die Brüder vom Hals zu schaffen. Ohne sie und ihre Ränke war ganz Oudenaarde besser dran. Gleichzeitig zitterte er aber bei dem Gedanken, es könnte ihnen etwas zugestoßen sein. Wie die Dinge lagen, waren sie die Einzigen, die wussten, wo Griets Angehörige waren. Kehrten Adam und Coen nicht mehr zurück, würden der alte van den Dijcke, das Dienstmädchen und Griets Junge möglicherweise in irgendeinem düsteren Loch verhungern und verdursten.
Wie vor den Kopf gestoßen, wankte der Weinhändler aus der Druckerei.
Pamela Osterlamm saß am Kamin und mühte sich mit ihrer Stickerei ab. Das Tuch, an dem sie arbeitete, wollte sie Uta, der Grande Dame des hiesigen Beginenhofes, schenken. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, wenn es zum Christfest fertig sein sollte, aber heute mochten ihr Nadel und Garn einfach nicht gehorchen. Zum wiederholten Mal musste Pamela die Naht auftrennen, und als sie sich schließlich auch noch in den Finger stach, warf sie Tuch und Rahmen wütend in eine Ecke und ging zur Tür, um nach einer Magd zu rufen. Es wurde allmählich Zeit für das Nachtessen. Im Haus duftete es nach frischgebackenem Brot und ausgelassenem Speck. Pamela schnupperte, verspürte jedoch keinen Hunger. Sie hörte die Schritte ihrer Mutter in der Kammer über sich. Ruhelos lief die alte Frau auf und ab. Bestimmt sprach sie ihre Gebete. Sie ist ebenso durcheinander wie ich, dachte Pamela.
«Hol mir meinen warmen Umhang», befahl sie, als die Dienerin den Kopf in die Kammer steckte.
«Ihr wollt jetzt noch hinaus? Aber es ist doch schon dunkel, außerdem fängt es an zu schneien.»
Pamela fuhr der Magd brüsk über den Mund. «Meinen Umhang, habe ich gesagt. Hörst du schlecht?»
Kurz darauf verließ sie das Haus. Die Magd hatte nicht übertrieben, stellte sie fest. Es war wirklich ungemütlich auf der Gasse. Eisig blies der Wind von der Schelde herauf, wehte Pamela Schnee ins Gesicht und zerwühlte ihr sorgfältig frisiertes Haar. Aber die junge Frau war zu beunruhigt, um sich über Schnee und Kälte Gedanken zu machen. Der überraschende Besuch des Weinhändlers wollte ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Als ihre Magd ihn angekündigt hatte, hatte Pamela tatsächlich geglaubt, er mache ihr aus Höflichkeit seine Aufwartung. Sie hatte sich gefreut und rasch ihren schönsten Schmuck angelegt. Doch dann hatte es sich gezeigt, dass de Lijs gar nicht ihretwegen gekommen war. Er suchte nach Coen und Adam. Regelrecht schockiert war er
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